Berufungsgericht bestätigt 22,5 Jahre Haft gegen Ayşe Gökkan

Ein türkisches Berufungsgericht in Amed hat eine mehr als 20-jährige Freiheitsstrafe gegen die kurdische Politikerin und frühere Bürgermeisterin Ayşe Gökkan in erster Instanz bestätigt. Ein Haftentlassungsersuchen wurde abgelehnt.

Die in der Türkei inhaftierte kurdische Politikerin Ayşe Gökkan ist mit dem Beschwerdeverfahren gegen ihre Verurteilung zu mehr als zwei Jahrzehnten Freiheitsstrafe vorerst gescheitert. Ein regionales Berufungsgericht in Amed (tr. Diyarbakır) bestätigte am Mittwoch das Urteil in erster Instanz. Zu der drakonischen Freiheitsstrafe wegen sogenannten Terrorvorwürfen war Gökkan im Oktober 2021 von der neunten Strafkammer Diyarbakır verurteilt worden.

Das Urteil setzt sich aus mehreren Einzelstrafen zusammen: Zwölf Jahre wurden wegen angeblicher Leitung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verhängt, siebeneinhalb weitere wegen der vermeintlichen Mitgliedschaft in selbiger Organisation und drei Jahre für vorgebliche PKK-Propaganda. Insgesamt war Gökkan, die bis zu ihrer Verhaftung als Sprecherin der kurdischen Frauenbewegung „Tevgera Jinên Azadî“ (TJA) fungierte, zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt worden.

Die Berufung gegen ein weiteres Urteil über siebeneinhalb Jahre Freiheitsstrafe für Gökkan ist noch vor dem Kassationshof anhängig. Das oberste Berufungsgericht der Türkei kommt für den Rechtsbeistand der 58-Jährigen ohnehin als nächste Instanz ins Spiel. Neben dem Berufungsantrag beim regionalen Gericht hatte Gökkans Verteidigung auch ein Haftentlassungsersuchen eingereicht. Auch diese Forderung ist abgelehnt worden.

Ayşe Gökkan: Journalistin, Bürgermeisterin, Feministin

Ayşe Gökkan ist 1965 in Pirsûs (Suruç) geboren und hat Journalismus studiert. 2009 wurde sie mit 83 Prozent der Stimmen zur Bürgermeisterin der Kreisstadt Nisêbîn (Nusaybin) gewählt. Mehr als 80-mal wurde sie im Zuge ihrer politischen Karriere von der türkischen Polizei festgenommen, mehrmals saß sie im Gefängnis. Die Ermittlungsverfahren stützten sich in der Regel auf sogenannte Terrorvorwürfe gegen Gökkan. Zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung waren mehr als 200 Prozesse gegen Gökkan anhängig – bei mindestens 167 davon handelte es sich um Einzelverfahren. Die meisten davon fallen in ihre Amtszeit als Bürgermeisterin.

Haftstrafe wegen Protest gegen Mauerbau

Zur Sprecherin der TJA wurde Gökkan im Februar 2020 gewählt. Im Dezember desselben Jahres wurde sie in Mêrdîn (Mardin) zu zwanzig Monaten Haft verurteilt. In dem Verfahren wurde sie beschuldigt, sich in militärischem Sperrgebiet aufgehalten und Sachschäden verursacht zu haben. Der Vorwurf geht auf eine Aktion des zivilen Gehorsams im Oktober 2013 zurück. Als Bürgermeisterin von Nisêbîn protestierte sie damals mit einem Hungerstreik an der Grenze nach Syrien gegen den Bau einer Mauer. Der Aktionsort galt damals offiziell noch als Parkanlage und wurde erst nach Fertigstellung des Bauwerks zu militärischem Sperrgebiet deklariert.

Engagement gegen patriarchale Gewalt illegal?

Die Gesamtfreiheitsstrafe über 30 Jahre Gefängnis hatte Ayşe Gökkan für die für Ausübung demokratischer Grundrechte erhalten. Das ging faktisch aus der Urteilsbegründung hervor. Unter anderem wurde darin der in Amed ansässige – und legale – Frauenverein Rosa als „illegal“ klassifiziert und Gökkan ihr Engagement in der Hilfsorganisation gegen patriarchale Gewalt zur Last gelegt. Außerdem wurde Gökkan die Teilnahme an einer Kundgebung zum von Leyla Güven begonnenen Massenhungerstreik zur Aufhebung der Isolation von Abdullah Öcalan zur Last gelegt. Darüber hinaus habe die Politikerin die 2011 in Nisêbîn initiierte „Aktion für eine demokratische Lösung“ unterstützt. Dabei handelte es sich um eine Mahnmache mit der Forderung nach einem Friedensprozess zwischen dem türkischen Staat und der kurdischen Bewegung.

Von Behörden genehmigtes Friedenszelt laut Gericht „ernste Bedrohung“

In diesem Verfahren war Gökkan erstinstanzlich freigesprochen worden. Auf Widerspruch der Staatsanwaltschaft wurde das Verfahren jedoch anschließend mit dem Hauptverfahren zusammengelegt. Gökkan hatte damals in ihrer Verteidigung erklärt, dass bei der Aktion aufgestellte „Friedenszelt“ sei mit Genehmigung des Gouverneurs und Landrats errichtet worden. Die Beamten hätten sogar den Ort für das Zelt vorgeschlagen. Das Zelt wurde von der Justiz ebenfalls als Akt der „Terrorpropaganda“ gewertet. In der Urteilsbegründung stellte das Gericht fest, dass die Aktionen, an denen Gökkan teilgenommenen habe, „eine ernste Bedrohung für das demokratische Leben“ darstellten.