Aydar: Was 1925 begann, wirkt bis heute

Zum 100. Jahrestag der Hinrichtung von Şêx Seîd erinnern kurdische Organisationen mit einer Konferenz in Brüssel und einer Kundgebung in Köln an den Aufstand von 1925. Neben Gedenken geht es auch um politische Aufarbeitung und den aktuellen Dialogprozess.

100 Jahre nach der Hinrichtung von Şêx Seîd

Zum 100. Jahrestag der Hinrichtung von Şêx Seîd und seinen Mitstreitern in Amed (tr. Diyarbakır) planen kurdische Organisationen eine Reihe von Veranstaltung. Eine Konferenz des Nationalkongress Kurdistan (KNK), die am 27. und 28. Juni in Brüssel stattfindet, soll an die blutig niedergeschlagene Rebellion von 1925 erinnern und zugleich politische und historische Aufarbeitung leisten. Am 29. Juni ist zudem eine Großkundgebung in Köln geplant.

Der kurdische Geistliche Şêx Seîd (Scheich Said) und 47 seiner Weggefährten waren am 29. Juni 1925 auf dem Dağkapı-Platz in Amed öffentlich hingerichtet worden. Die Rebellion unter seiner Führung richtete sich gegen die Politik der neuen türkischen Republik, die mit dem Vertrag von Lausanne (1923) die Existenz der Kurd:innen negierte und eine Politik der Assimilation und Repression verfolgte.

Konferenz soll historische Wahrheit beleuchten

Zübeyir Aydar, Mitglied des Exekutivrats der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) und Teil des Vorbereitungskomitees, erklärte gegenüber ANF, die Konferenz solle „eine akademische Plattform“ bieten, um das historische Geschehen einzuordnen. Die Ereignisse von damals wirkten bis in die Gegenwart nach. Aydar betonte, es sei wichtig, „die historische Wahrheit ans Licht zu bringen und die Erinnerung an die Opfer wachzuhalten“.


Kritik an der Staatsgründungspolitik

Die Rebellion Şêx Seîds sei nach Einschätzung Aydars eine Reaktion auf die ethnische Ausgrenzung und den Ausschluss der Kurd:innen aus dem politischen Prozess der Republikgründung gewesen. Die damalige türkische Staatsführung habe gezielt provoziert, um die Bewegung zu zerschlagen. Bereits die Armenier:innen 1915, die Pontos-Griech:innen 1919 und schließlich die Kurd:innen 1925 seien Ziel staatlicher Gewalt und „ethnischer Säuberungen“ gewesen, so Aydar.

Bezug zur aktuellen politischen Situation

Aydar wies zudem darauf hin, dass die damaligen Entwicklungen auch im Zusammenhang mit den heutigen Diskussionen um eine politische Lösung der kurdischen Frage in der Türkei stünden. „In Nordkurdistan gibt es unter der Führung von Abdullah Öcalan einen Dialogprozess. Wenn man die Gegenwart betrachtet, sieht man, dass das Jahr 1925 gewissermaßen bis heute andauert. Der Unterschied ist: Wir versuchen heute, eine Lösung am Verhandlungstisch zu finden“, so Aydar. Während früher für jeden Aufstand Galgen errichtet worden seien, versuche man heute, „Tische der Lösung“ zu schaffen.

Er fuhr fort: „Alle kurdischen Aufstände wurden mit Hinrichtungen beendet. Aber der seit 52 Jahren andauernde PKK-Aufstand sucht nun nach einer politischen Lösung. Deshalb ist es so wichtig, aus der Geschichte zu lernen, um die Gegenwart gestalten zu können.“ Gleichzeitig warnte Aydar davor, Geschichte zu instrumentalisieren: „Nur weil wir die Vergangenheit thematisieren, heißt das nicht, dass wir dem heutigen Prozess schaden. Und nur weil es heute einen Prozess gibt, dürfen wir nicht sagen: ‚Vergessen wir die Vergangenheit.‘ Alles muss in einem realistischen Rahmen dargestellt werden. Das ist unsere Realität – und mit der Vergangenheit muss man sich auseinandersetzen.“

Symbolik des 29. Juni

Der 29. Juni habe für die kurdische Bewegung eine tiefgreifende Bedeutung, erklärte Aydar. Er wies darauf hin, dass auch Abdullah Öcalan, der seit 1999 inhaftierte Begründer der PKK, an genau diesem Datum zum Tode verurteilt wurde – auch wenn das Urteil später in lebenslange Haft umgewandelt wurde. Dies sei ein bewusst gesetztes Signal gewesen, so Aydar: „Die Botschaft lautete: ‚Was wir mit Şêx Seîd gemacht haben, können wir auch mit euch machen.‘“

Nicht vergessen – nicht vergeben

Die Veranstaltung in Köln im Anschluss an die Konferenz soll laut Aydar ein Zeichen der Erinnerung und der Einheit setzen. Der Protestmarsch sei kein parteipolitisches Ereignis, sondern ein übergreifender nationaler Gedenkakt. Der KCK-Vertreter unterstrich: „Das ist eine Versammlung aller, die das Andenken an die Gefallenen von 1925 ehren und die politische Verantwortung gegenüber der Geschichte ernst nehmen.“

Aydar forderte die Einrichtung einer Wahrheitskommission zur Aufarbeitung der damaligen Verbrechen und kritisierte, dass selbst 100 Jahre nach den Hinrichtungen der Verbleib der Grabstätten von Şêx Seîd und seinen Gefolgsleuten unbekannt sei.

Einladung zur Kundgebung in Köln

Zum Abschluss sprach Aydar eine öffentliche Einladung aus: „Am 29. Juni 2025 – exakt 100 Jahre nach der Errichtung der Galgen auf dem Dağkapı-Platz – wollen wir in Köln zusammenkommen. Das ist kein Parteitag, sondern eine Gedenkveranstaltung für unsere Gefallenen. Alle kurdischen Parteien, Institutionen, Persönlichkeiten und unser Volk sind eingeladen.“