Atasoy: Gesellschaftliche Intervention unabdingbar

Die Frauensekretärin des Gewerkschaftsverbands des Öffentlichen Diensts, Gülistan Atasoy, erklärt, dass ohne eine breite gesellschaftliche Intervention auf der Grundlage von Arbeit und Wissenschaft das System so weitermachen werde wie bisher.

Gülistan Atasoy, Frauensekretärin des Gewerkschaftsverbands des Öffentlichen Dienstes (KESK), hat sich gegenüber ANF zu der aktuellen ökonomischen, politischen und gesundheitlichen Krise in der Türkei geäußert.

Atasoy warnt davor, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter noch schwerere Tage erwarten und die ökonomischen Maßnahmen wie immer in den Momenten der Krise allein dazu dienten, das Kapital zu stützen, während das Volk immer tiefer in die Armut gestürzt wird. „Im Rahmen des Wirtschaftspakets wurden das Tarifvertragsrecht und das Streikrecht ausgehebelt”, erklärt sie. „Da Entlassungen verboten wurden, wird der Kurzarbeiterlohn auf absurd kleine Summen reduziert. Viele Arbeiterinnen und Arbeiter werden dazu gezwungen, komplett ohne Bezahlung zu arbeiten. Die Beschäftigten und Millionen armer Menschen haben wenigsten eine teilweise Unterstützung erwartet, aber stattdessen verteilt der Staat IBAN-Nummern, um Spenden zu sammeln. Einerseits leisten wir anderen Staaten Hilfe mit Masken und medizinischem Material, um gelobt zu werden und an Respekt zu gewinnen, aber andererseits wurde damit angefangen, von der Bevölkerung Geld einzusammeln. Während der Pandemie legt die Regierung eine Praxis an den Tag, die auf der ganzen Welt nicht zu finden ist. Sie benutzt Repression und Propagandamedien, um die Wut der Menschen zu verbergen und den Prozess zu manipulieren. Sowohl die Entwicklung der Pandemie als auch die von der Regierung getroffenen ökonomischen Entscheidungen zeigen, dass uns noch schwerere Tage erwarten. Uns stehen eine noch größere Ausplünderung, höhere Arbeitslosigkeit, weiter sinkende Löhne und ein Anstieg der Armut bevor. Das ist vollkommen klar.“

Die Frauen sind am schwersten betroffen

Atasoy weist darauf hin, dass Frauen von der Situation in zweierlei Hinsicht besonders betroffen sind. In den von der Pandemie am heftigsten betroffenen Bereichen arbeiten vor allem Frauen. Frauen, die zu Hause Reproduktionsarbeit leisten, sind durch die Quarantäne einem Anstieg patriarchaler Gewalt ausgesetzt. Die unter dem Vorwand der Pandemie verhängte Teilamnestie bedeutet für Frauen eine weitere Bedrohung, erklärt Atasoy: „Die kleine Ceylan war das erste Opfer dieses Gesetzes.“ Das neunjährige Mädchen wurde in Dîlok (Antep) von ihrem Vater zu Tode misshandelt, nachdem dieser über die Vollzugsreform aus der Haft entlassen worden war.

Gülistan Atasoy kritisiert auch die Schließung von Fluchthäusern für Frauen und die Einstellung der Dienstleistungen der Stadtverwaltungen vor dem Hintergrund der Ernennung von Zwangsverwaltern. „Die Regierung hat die Pandemie als Gelegenheit genutzt, die sexistischen Angriffe zu steigern. Das ist vollkommen klar“, betont sie und schließt mit den Worten: „Der als unbesiegbar dargestellte Kapitalismus und sein Rückgrat, die Nationalstaaten, sind in eine ausweglose Lage geraten. In Anbetracht dieser offenbar gewordenen Realität wollen wir mit diesem 1. Mai trotz allem die Hoffnung, ein freies, demokratisches und gleichberechtigtes Leben aufzubauen, stärken.“