Widersprüchliche Angaben zum Tod eines kurdischen Wehrpflichtigen

Ein in einem Gefängnis in Izmir stationierter Soldat kurdischer Herkunft ist tot aufgefunden worden, doch offizielle Angaben zu den Todesumständen sind widersprüchlich. Angehörige sprechen von Mord - der Wehrpflichtige sei wiederholt bedroht worden.

Osman Özçalımlı aus Dîxor (türk. Digor) in der nordkurdischen Provinz Qers (Kars) leistete im Rahmen der „Freikaufsregelung“ einen verkürzten Militärdienst für die türkische Armee in einem Gefängnis in Izmir. Am Samstagmorgen wurde er dort auf verdächtige Weise tot aufgefunden. Über die Todesumstände gibt es widersprüchliche Aussagen. Laut den Sicherheitsbehörden in Dîxor soll Özçalımlı in der Nacht zum Samstag einen tödlichen Herzinfarkt in dem Hochsicherheitsgefängnis in Izmir-Aliağa erlitten haben. Um fünf Uhr morgens habe man seine Leiche gefunden. Nach Angaben der Gerichtsmedizin Izmir sei Özçalımlı aus dem dritten Stock eines Trakts der Haftanstalt gestürzt. Die Angehörigen des Verstorbenen glauben keiner der beiden Versionen. „Noch einen Tag vor seinem Tod rief Osman mich an und sagte mir, dass er wegen seiner kurdischen Herkunft bedroht wird”, erklärte Ahmet Özçalımlı, der Vater des gestorbenen Soldaten.

„Die ganze Geschichte stinkt zum Himmel”, schimpfte Özçalımlı empört. Die Nachricht vom Tod seines Sohnes wurde ihm gestern vom Landrat von Dîxor, dem Polizeipräsidenten und dem Verantwortlichen der militärpolizeilichen Kreiskommandantur persönlich überbracht. Özçalımlı habe sofort zu verstehen gegeben, dass er der Herzinfarkt-Theorie kaum glauben mag, da ihn Osman in den beiden Tagen vor dem Fund seiner Leiche wiederholt bei Telefonaten darauf hingewiesen habe, Todesdrohungen zu erhalten. „Er sagte, dass er diskriminiert wird. Sie sollen ihn ‚Vaterlandsverräter‘ genannt haben. Daraufhin rief ich im Gefängnis an und sprach mit einem Stabsunteroffizier namens Abdullah. Ich schilderte ihm den Inhalt der Gespräche mit meinem Sohn und er entgegnete, ich solle mir keine Sorgen machen. Am nächsten Morgen hieß es dann, Osman sei tot.“

Nach der Unterredung zwischen Özçalımlı und den hochrangigen Beamten aus Dîxor machten diese ganz offensichtlich eine Kehrwende. So hieß es dann urplötzlich aus dem Munde des Landrats, Osman Özçalımlı könne prinzipiell auch an etwas anderem gestorben sein. „Ein Leutnant, der uns ebenfalls aufsuchte meinte, Osman habe sich womöglich den Kopf gestoßen. Zu dem Zeitpunkt hatten wir bereits unsere Verwandtschaft in und um Izmir mobilisiert, die bei der zuständigen Gerichtsmedizin vorstellig wurde. Dort teilte man ihnen mit, dass mein Sohn aus dem dritten Stockwerk gestürzt sei. Ich rief dann erneut bei Offizier Ahmet an. Er sagte, Osman sei ohnmächtig geworden und in ein Krankenhaus verlegt worden. Eine Antwort auf die Frage, um welches Krankenhaus es sich dabei denn handeln würde, konnte er mir nicht geben.” Der Leichnam des kurdischen Wehrpflichtigen wurde bisher noch nicht freigegeben.

In der türkischen Armee kommt es immer wieder zu verdächtigen „Unfällen“ von Soldaten oder „Krankheiten“ mit Todesfolge. Doch am häufigsten lautet die offizielle Verlautbarung bei fragwürdigen Todesfällen „Suizid“. Laut einer Studie des in der Türkei ansässigen kurdischen „Vereins für Menschenrechte und Solidarität mit den Unterdrückten“ (Mazlumder) sind 90 Prozent der Wehrpflichtigen, die angeblich Selbstmord begehen, Kurden.