Im Vorfeld der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 14. Mai fegt durch die Reihen der kurdischen und linken Opposition und Zivilgesellschaft in der Türkei eine massive Repressionswelle. Nachdem es bereits in den vergangenen Tagen zu Massenfestnahmen und Dutzenden Verhaftungen in zahlreichen Städten des Landes gekommen war, wurde der politische Vernichtungsfeldzug auch am Donnerstag fortgesetzt.

In Amed (tr. Diyarbakır) ordnete ein Strafgericht Untersuchungshaft gegen den kurdischen Rechtsanwalt Şerzan Yelboğa an. Der Jurist begab sich zuvor mit vier weiteren Kolleg:innen freiwillig zur Staatsanwaltschaft, da in allen Fällen eine Anordnung zur Festnahme wegen „Terror“-Vorwürfen vorlag. Die Maßnahme erfolgte im Zusammenhang mit einer am 25. April eingeleiteten „Anti-Terror-Operation“, in deren Rahmen 216 Politiker:innen, Rechtsanwält:innen, Journalist:innen und Aktivist:innen zur Fahndung ausgeschrieben worden waren. Einzige Grundlage für die Ermittlungen sollen laut Betroffenen-Rechtsbeiständen dubiose Aussagen eines Informanten der Staatsanwaltschaft sein. Wegen des „Verdachts der PKK-Unterstützung“ ergingen bislang im Zusammenhang mit dem Verfahren 52 Haftbefehle. Unter den Inhaftierten befinden sich bereits drei Rechtsanwält:innen und mehrere Presseleute kurdischer Medieneinrichtungen. Gegen dutzende Betroffene ordnete die türkische Justiz Auflagen wie die regelmäßige Meldepflicht bei der Polizei, Ausreiseverbote und elektronisch überwachten Hausarrest an.

Jugendaktivist in Silopiya verhaftet

In Silopiya in der Provinz Şirnex (Şırnak) wurde ein 15-Jähriger wegen „Terrorpropaganda“ ins Gefängnis gesteckt. Der Junge war am Vortag im Rahmen von überfallartigen Razzien der paramilitärischen „Polizeispezialeinheiten für Terrorismusbekämpfung“ (PÖH) festgenommen worden. Im Zuge der von der Generalstaatsanwaltschaft Şırnak angeordneten Hausdurchsuchungen in den Vierteln Nur, Barbaros und Cumhuriyet waren gestern sechs weitere Jugendliche in Gewahrsam genommen worden. Gegen sie verhängte das örtliche Gericht polizeiliche Meldeauflagen.

Jugendliche vor dem Justizpalast in Şirnex

HDP-Mitglieder in Gebze wegen Social-Media-Einträgen verhaftet

In der Stadt Gebze am anatolischen Stadtrand von Istanbul wurden fünf Aktivisten der Demokratischen Partei der Völker (HDP) wegen Beiträgen in Online-Netzwerken verhaftet. Es handelt sich um den Ko-Vorsitzenden des Kreisverbands Ömer Yıldız sowie die Parteimitglieder Kasım Çağlar, Mahmut Çalıkıc, Mehmet Göktaş und Uğur Gezer. Ihnen wird zur Last gelegt, Propaganda für eine „terroristische“ Organisation betrieben zu haben. Welchen Inhalt die Beiträge genau haben, war unklar.

Istanbul

Istanbul: YSP-Kandidatin gewaltsam festgenommen

In Istanbul nahm die Polizei am Donnerstag die Kandidatin der Grünen Linkspartei (Yeşil Sol Parti, YSP) bei der Parlamentswahl, Kezban Konukçu, sowie 15 Bauarbeiter fest. Konukçu unterstützte vor der Zentrale der Baugesellschaft Emlak Konut GYO im Bezirk Ataşehir einen Streik von bei der DEV-YAP (Revolutionäre Gewerkschaft der Arbeiter im Baugewerbe und Straßenbau) organisierten Bauarbeitern, die gegen ausbleibende Löhne protestieren. Die vom Konzern verständigte Polizei räumte gewaltsam den Platz. Konukçu und den streikenden Arbeitern drohen Anzeigen wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt.