Trotz Verboten und starker Polizeipräsenz versammelten sich am Sonntag LGBTI+- und solidarische Aktivist:innen im Istanbuler Stadtteil Şişli zum Pride-March und zum Protest gegen das patriarchale, homo- und transphobe Regime. Obwohl kein offizielles Kundgebungsverbot ausgesprochen worden war, wurde der traditionelle Versammlungsplatz, der Taksim, von der Polizei abgesperrt und die umliegenden U-Bahnstationen geschlossen. Die Aktivist:innen ließen sich davon nicht beirren und versammelten sich spontan etwa einen Kilometer vom Taksim entfernt in Nişantaşı. Dort wurde eine riesige Regenbogenfahne an der Fassade eines mehrstöckigen Parkhauses gegenüber dem Mıstık-Park aufgehängt.
„Ihr werdet euch an uns gewöhnen müssen“
Die Aktivist:innen verlasen eine Erklärung, in der es hieß: „Wir tragen die Wut der Queers in uns, die vom Staat und seinen Strafverfolgungsbehörden gefoltert werden, und wir erklären, dass unsere Wut euch verbrennen wird. Wir werden hier nicht weggehen, ihr werdet euch an uns gewöhnen.“
„Queers existieren, Kurdistan existiert“
Bereits in der ersten Rede des Regimechefs Recep Tayyip Erdoğan nach den Wahlen hatte er erneut zum Hass gegen LGBTI+-Identitäten angestachelt. In Bezug darauf erklärten die Aktivist:innen: „Wir lehnen diese Politik des Hasses und der Verleugnung ab. Trotz aller Verbote, der Kriminalisierung, Repression und Unterdrückungsversuchen werden wir uns weiterhin für ein menschenwürdiges Leben für alle einsetzen und an unserem Eintreten für ein demokratisches Leben festhalten.“ Währenddessen skandierte die Menge Parolen wie „Lauf Tayyip, lauf. Die Queers kommen!“, „Die Befreiung der Queers wird die Welt erschüttern“ und „Queers existieren, Kurdistan existiert“.
Über 90 Festnahmen in Istanbul
Kurz darauf traf die Polizei ein und teilte mit, dass die Demonstration verboten sei. Polizeibeamte umstellten die Redakteurin der Nachrichten-Website T24, Candan Yıldız, und die Journalistin Hazal Sipahi sowie den Tanzkünstler Serkan Öztürk. Sie hielten die Journalist:innen kurz fest und führten den Tänzer ab.
Wie das Komitee der Prideweek mitteilt, wurden mehr als 93 Personen in diesem Zusammenhang in Nişantaşı, Beşiktaş und Cihangir festgenommen. Manche von ihnen wurden im Anschluss an die Demonstration von der Polizei aus Cafés gezerrt.
Viele Festnahmen in Izmir
In Izmir griff die Polizei die Pride bereits beim Auftakt an. Die Polizei kesselte viele Menschen ein und traktierte sie mit Schlägen. Auch Journalist:innen und Anwält:innen wurden von der Polizei mit Schlägen attackiert. Fünf Anwält:innen, darunter das Vorstandsmitglied der Anwaltskammer von Izmir, Gamze Şimşek, wurden festgenommen. Bisher wurden von den Veranstalter:innen 47 Festnahmen aus Izmir gemeldet.