Nürnberg: Solidarität mit der HDP und „NSU - Kein Vergeben, kein Vergessen”

In Nürnberg fanden heute gleich zwei Kundgebungen statt: „Solidarität mit der HDP“ und „Zehn Jahre Aufdeckung des NSU“. Beide Veranstaltungen nahmen die Aufrufenden zum Anlass für antifaschistischen Widerstand – egal ob in der Türkei oder in Deutschland.

Vor fünf Jahren - in der Nacht zum 4. November 2016 - wurden die damaligen Ko-Vorsitzenden der Demokratischen Partei der Völker (HDP), Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ, zusammen mit neun weiteren Abgeordneten unter den Vorwürfen „Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation” festgenommen. Am Hallplatz in Nürnberg rief das lokale Bündnis demokratischer Kräfte (ADGB) deshalb zur Solidarität mit der HDP auf. Angesichts rund 100.000 politischer Gefangener in türkischen Kerkern, täglicher Verhaftungen, einer Willkürjustiz, Folter, Einsetzung von Zwangsverwaltern und dem drohenden Verbot der HDP könne nur eine Einheit aller demokratischen Kräfte den türkischen Faschismus aufhalten. Mit der Kampagne „Wir sind die HPD, wir sind überall“ müsse jetzt mobilisiert werden für den Widerstand gegen das islamo-faschistische AKP/MHP-Regime, hieß es. Die HDP tritt ein für einen gesellschaftlichen Wandel auf legaler Ebene. Sie bietet Lösungen an, wie die Türkei die tiefe Krise überwinden kann, in die sie die Gesellschaft durch expansionistische Kriegspolitik, kopflose Ökonomie, Korruption und einer von Wahnvorstellungen geleiteten Innenpolitik gestürzt hat.

In Richtung deutsche Außenpolitik wurde appelliert, die künftige Regierung möge die Unterstützung der türkischen Diktatur aufgeben und das Gespräch mit der demokratischen Opposition suchen. Dies gelte auch für die kurdische Freiheitsbewegung, die in Deutschland noch immer kriminalisiert wird.

Kritisiert wurde auch das Schweigen zur völkerrechtswidrigen Besatzung und zu den international verbotenen Angriffen der türkische Armee mit chemischen Waffen in Südkurdistan (Nordirak). Die deutsche Außenpolitik sei getrieben von geo-strategischen und wirtschaftlichen Interessen. Sie halte an einem EU-Grenzregime fest, das den Staat zum Verbündeten erklärt, der ständig für neue Fluchtbewegungen sorgt. Mit EU-Geldern an eine Diktatur und dem Tolerieren von völkerrechtswidriger Annexion, Vertreibung, Giftgasangriffen und extralegalen Hinrichtungen mache sich Deutschland mitschuldig an Kriegsverbrechen des NATO-Mitglieds Türkei.

„NSU - Kein Vergeben, kein Vergessen”

Auf der zweiten Kundgebung am Kornmarkt erinnerte ein breites antifaschistisches Bündnis unter dem Motto „Kein Vergeben, kein Vergessen“ an die Selbstenttarnung des Kern-Trios des NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) vor zehn Jahren. Eine Vertreterin der Gewerkschaft Verdi verlas in Erinnerung an die Opfer des NSU die Namen der Ermordeten: Enver Simsek, Abdurrahim Özüdogru, Süleyman Tasköprü, Habil Kilic, Mehmet Turgut, Ismail Yasar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubasik, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter.

Mit Unterstützung eines großen Netzwerks konnte der NSU unbehelligt rassistische Morde und Sprengstoffanschläge sowie zahlreiche Raubüberfälle begehen. Ermöglicht wurde der rechte Terror durch das Wegschauen und Vertuschen der deutschen Geheimdienste und durch rassistische Ermittlungsarbeit. Auch zehn Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU ist die vollständige Aufklärung nicht abgeschlossen. Wer angesichts der Nazi-Skandale in deutschen Sicherheitsbehörden glaubt, der NSU war nur zu dritt, verschließe die Augen vor der Realität, so ein Sprecher des Bündnisses. Am System der V-Leute der Geheimdienste habe sich nichts geändert. Über 40 Mitarbeitende des Verfassungsschutzes waren im Umfeld des NSU tätig. Sie gaben ihre Informationen nicht an die Ermittlungsbehörden weiter. Der nach der Mordserie an die Spitze des Geheimdienstes berufene Hans-Georg Maaßen macht sich heute für eine Koalition mit der AfD stark und hegt Sympathien für Rechtsradikale.

Die Redner:innen der Kundgebung waren sich einig: Der 4. November 2021 markiert auch jahrelanges Behördenversagen in Deutschland. Politische Konsequenzen fehlten noch immer. Der Rechtsextremismus bleibt die größte Gefahr in dieser Gesellschaft. Wir dürfen uns damit nicht abfinden.