Nürnberg: 20 Jahre NSU „...und immer noch fordern wir Aufklärung”

Vor 20 Jahren wurde in Nürnberg Enver Şimşek zum ersten Mordopfer des rechtsterroristischen Netzwerks NSU. Zu einer Gedenkveranstaltung am Tatort rief das Nürnberger „Bündnis Nazistopp” auf unter dem Motto „Und immer noch fordern wir Aufklärung”.

Unter dem Motto „Und immer noch fordern wir Aufklärung” versammelten sich heute in Nürnberg rund dreihundert Menschen am Tatort des ersten Mordes der rechtsextremen Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund” (NSU). Am 9. September 2000 wurde Enver Şimşek vor seinem Blumenstand von Rechtsterroristen mit mehreren Schüssen hingerichtet.

Elf Jahre hat es gedauert, bis öffentlich bekannt wurde, dass Neonazis der rassistischen Terrorgruppe NSU den Mord begangen hatten. Insgesamt zehn Menschenleben gehen auf das Konto des Nazi-Netzwerks; weitere Menschen wurden bei Sprengstoffanschlägen und Banküberfällen verletzt.

Ins Visier der polizeilichen ErmittIungen gerieten zunächst die Ermordeten selbst und deren soziales Umfeld. Damit machte man die Opfer des Rechtsterroristen ein zweites Mal zu Opfern eines Polizeiapparats und einer Öffentlichkeit, die einen rassistischen Hintergrund der Morde zunächst ausschlossen. Die Folge war eine unerträgliche gesellschaftliche Stigmatisierung der Betroffenen. Aufgrund von institutionellem Rassismus bei Polizei und Sicherheitsbehörden konnten Narrative von „Clankriminalität” verbreitet werden, und die Medien schrieben von „Dönermorden“. Dies hat erheblich dazu beigetragen, dass die Mordserie des NSU so lange anhalten konnte.

Auch nach 20 Jahren und dem Abschluss des fünfjährigen NSU-Prozesses sind noch zu viele Fragen offen, wie Redner*innen der Kundgebung betonten. Vor allem die Rolle staatlicher Akteure wurde nie aufgearbeitet: Wie tief verstrickt war der Inlandsgeheimdienst („Verfassungsschutz“) mit dem Nazi-Netzwerk? Bestand der NSU tatsächlich nur aus drei Personen, wie man die Öffentlichkeit immer glauben lassen wollte? Wer waren die Hintermänner und Unterstützer? Warum wurden viele Akten nach Auffliegen des NSU so schnell vernichtet? Seit Jahren fordert das bundesweite Aktionsbündnis „NSU-Komplex auflösen“, keinen Schlussstrich unter das Kapitel NSU zu ziehen. Das Ende des Münchner NSU-Prozesses darf nicht das Ende der Aufklärung sein. Der NSU war keine isolierte Zelle aus drei Personen. Die Serie von Drohbriefen, unterzeichnet mit NSU2.0, die in jüngster Zeit an linke Aktivist*innen verschickt wurden, weisen darauf hin, dass rechtsterroristische Netzwerke weiterhin aktiv sind.

Dass der rechte Terror weiter geht, beweisen auch die Anschläge von Hanau, Halle, Kassel. Dass Rassismus und Nationalismus gesellschaftlich tief verwurzelt sind, bestätigen die fast täglichen Angriffe auf Migrant*innen und Geflüchtete. Immer noch wird von „Einzelfällen“ gesprochen. Rechte Gewalt wird nach wie vor verharmlost.

Forderung an die Stadt: Gedenktafeln an Tatorten und Straßenumbenennungen

Von der Stadt Nürnberg fordern über 25 antifaschistische Organisationen Gedenktafeln an den Tatorten der NSU-Opfer und Straßenumbenennungen. In mehreren Reden wurden endlich politische Konsequenzen verlangt: Neben der Abschaffung des Verfassungsschutzes müsse der institutionelle und gesellschaftliche Rassismus als Problem benannt und bekämpft werden.

Abdülkerim Şimşek

Viele verschiedene Organisationen bei Kundgebung

An der heutigen Kundgebung vom Bündnis Nazistopp nahmen etwa 300 Aktivist*innen aus verschiedenen Organisationen teil. Hauptredner war Abdülkerim Şimşek, Sohn des ermordeten Enver Şimşek. Auch mit dabei: Seda Basay-Yildiz, Nebenklageanwältin der Familie Şimşek, Kutlu Yurtseven von der Initiative „Keupstraße ist überall”, Vertreter des Tribunals „NSU-Komplex Auflösen Köln” und der „Allianz gegen Rechtsextremismus”, Birgit Mair, Kuratorin der Ausstellung „Die Opfer des NSU und die Aufarbeitung der Verbrechen“ sowie „Microphone Mafia”.