Die Plattform „Solidarität für Gerechtigkeit“ hat in Istanbul auf einer Kundgebung für Ebru Timtik und Aytaç Ünsal auf die oft tödlichen Folgen einer Zwangsernährung bei Hungerstreikenden hingewiesen und ihre Freilassung gefordert. Seit Monaten verweigern die beiden inhaftierten Rechtsanwält*innen mit der Forderung nach einem fairen Prozess bereits die Nahrungsaufnahme. Am Donnerstag hat ein Gericht in Istanbul trotz Feststellung der Haftunfähigkeit durch die Gerichtsmedizin einen Antrag auf Freilassung abgewiesen. Daraufhin wurden Timtik und Ünsal in ein Krankenhaus zwangseingewiesen. Es wird befürchtet, dass sie zwangsernährt werden sollen.
Die Kundgebung im Bezirk Bakirköy fand vor dem staatlichen Krankenhaus „Dr. Sadi Konuk“ statt, in dem die mittlerweile auf 35 Kilogramm abgemagerte Ebru Timtik gegen ihren Willen festgehalten wird. Beteiligt an der Protestaktion waren auch Mitglieder der Gefangenenhilfsorganisation TAYAD und der Vater des im vergangenen April im Hungerstreik verstorbenen politischen Gefangenen Mustafa Koçak.
Nesimi Özcan von TAYAD erinnerte in einer Ansprache an den Fall von Koçak, dessen Hungerstreik am 254. Tag mit Gewalt unterbrochen wurde. Für die Zwangsernährung war der 28-Jährige an den Händen und Füßen gefesselt und mit einem Stock misshandelt worden. 73 seiner Venen sind beim Versuch, einen intravenösen Zugang zu legen, geplatzt. Die Gerichtsmedizin bestätigte hinterher, dass die Zwangsernährung eine Rolle bei Mustafa Koçaks Tod spielte.
„Ebru Timtik und Aytaç Ünsal sollen entlassen werden“
Ebru Timtiks Onkel Yıldırım Tenis wies darauf hin, dass die Forderung nach Gerechtigkeit für seine Nichte und ihren Kollegen Aytaç Ünsal bei den Behörden auf völliges Desinteresse stoßen würde. „Wir verstehen nicht, warum die Revisionsverfahren hinausgezögert werden. Ebru wiegt inzwischen nur noch 35 Kilogramm“, beklagte Tenis. Mustafa Koçaks Vater Hasan sagte, dass das Leiden seines Sohnes anderen erspart bleiben müsste.
Hungerstreik für ein gerechtes Gerichtsverfahren
Ebru Timtik, eine Anwältin der linken Vereinigung „Rechtsbüro des Volkes“ (türk. Halkın Hukuk Bürosu“), befindet sich seit mittlerweile 212 Tagen im sogenannten Todesfasten, ihr Kollege Aytaç Ünsal verweigert seit 181 Tagen jegliche Nahrungsaufnahme. Mit der Aktion fordern sie ein gerechtes Verfahren. Beide wurden aufgrund von widersprüchlichen Aussagen eines Kronzeugen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Anschuldigungen des Überläufers Berk Ercan haben zur Verhaftung von knapp 200 Menschen geführt. Unter ihnen waren auch mehrere Mitglieder der Musikgruppe Grup Yorum und Mustafa Koçak, der zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Sie alle wurden im Komplex der Verfahren gegen vermeintliche Angehörige der DHKP-C nach Terrorparagrafen verurteilt.
Grup Yorum-Mitglieder wurden ebenfalls zwangseingewiesen
Helin Bölek und Ibrahim Gökçek, zwei Mitglieder der linken Musikgruppe Grup Yorum, die dieses Jahr an den Folgen eines Hungerstreiks gestorben sind, waren ebenfalls zur Zwangsernährung in ein Krankenhaus eingewiesen worden. Bölek starb Anfang April, nachdem sie 288 Tage lang die Nahrungsaufnahme verweigert hatte. Gökçek kam im Mai ums Leben – nur zwei Tage, nachdem er seinen 323 Tage andauernden Hungerstreik beendet hatte.