Kubilay: Erdoğan will eine ethnische Säuberung wie in Efrîn

„Erdoğan will die syrischen Flüchtlinge dazu benutzen, eine ethnische Säuberung wie in Efrîn durchzuführen“, erklärte der HDP-Sprecher Günay Kubilay zur Rede des türkischen Staatschefs vor der UN-Vollversammlung.

Als Sprecher der Demokratischen Partei der Völker hat sich Günay Kubilay am Freitag auf einer Pressekonferenz in der Parteizentrale in Ankara zu aktuellen politischen Fragen geäußert. Er ging dabei unter anderem auf das Erdbeben in Istanbul, die politischen Prozesse gegen die kurdische Opposition, die Zwangsverwaltung kurdischer Rathäuser und die Rede von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan vor der UN-Vollversammlung in New York ein.

Erdbeben in Istanbul

Am Donnerstag hat sich in Istanbul ein Erdbeben der Stärke 5,8 ereignet, dessen Epizentrum in Silivri lag. Kubilay wies darauf hin, dass Experten insbesondere seit dem großen Erdbeben vom 17. August 1999 vor weiteren Erdbeben warnen und Schutzmaßnahmen fordern: „Die AKP jedoch, die seit 25 Jahren in Istanbul und seit 17 Jahren in der Türkei an der Macht ist, hat nicht nur keine Maßnahmen getroffen, sondern aus Istanbul einen Profitbereich gemacht, in dem für die Bevölkerung lebensgefährliche Gebäude errichtet und die noch freien Flächen ihr nahe stehenden Firmen zur Verfügung gestellt wurden. Die Erdbebengefahr wird seit Jahren außer Acht gelassen.“ Unter der AKP seien ständig neue Residenzen und Einkaufszentren gebaut worden, so dass keine Flächen mehr zur Verfügung stünden, auf die sich die Menschen im Falle eines Erdbebens flüchten könnten, so der HDP-Sprecher.

Nach dem Erdbeben von 1999 sei zudem eine Steuer erlassen worden, die zu Mehreinnahmen von 74 Milliarden TL geführt haben: „Jetzt fragen wir die Regierung: Wieviel von diesen 74 Milliarden sind für die Schäden des Erdbebens und für Schutzmaßnahmen ausgegeben worden? Wo ist das verbliebene Geld? Wir erwarten innerhalb kürzester Zeit eine Antwort von der Regierung auf diese Fragen.“

KCK-Prozess und Justizreform

Die in der Türkei angekündigte Justizreform bezeichnete der HDP-Sprecher angesichts des juristischen Vorgehens gegen gewählte Politikerinnen und Politiker seiner Partei als „Heuchelei“: „Wir leben in einer Zeit, in der im Rechtssystem schwarze Komödien stattfinden. Dass an dem Tag, an dem über den Entwurf einer Justizreform diskutiert wird, derartige Urteile gefällt werden, macht deutlich, wie inhaltslos diese sogenannte Reform für Kurden, Sozialisten, Revolutionäre und Frauen ist. Die Denkweise der Justiz sehen wir auch in den Urteilen des Berufungsgerichtshofs im KCK-Prozess. In der Zeit, als die heilige Allianz zwischen der AKP und Gülen noch andauerte, haben Polizisten, Staatsanwälte und Richter der Gülen-Gemeinde Hunderte kurdische Politiker, Journalisten, Rechtsanwälte und Aktivisten seit 2009 systematisch in den sogenannten KCK-Verfahren festgenommen und verhaftet. Die meisten der an der juristischen Verfolgung beteiligten Beamten befinden sich immer noch wegen des Vorwurfs der Beteiligung am Putschversuch 2016 im Gefängnis. Es ist offenkundig, dass diese Personen die Justiz für ihre politischen Ziele missbraucht haben. Das jüngste Urteil des Berufungsgerichts ist ein weiterer Schlag gegen das Prinzip eines gerechten Rechtssystems.

Aktuell ist die Lage so: Der Berufungsgerichtshof hat die Urteile gegen 93 Personen bestätigt, darunter auch unsere Abgeordneten Leyla Güven und Musa Farisoğulları. Die Urteile des örtlichen Gerichts gegen 41 Personen wurden zu deren Nachteil aufgehoben. Mit diesem politischen Prozess, bei dem die Anklageschriften in Form von ‚Copy and Paste‘ und unter Missachtung grundlegender juristischer Prinzipien erstellt wurden, soll offensichtlich der demokratischen kurdischen Politik der legale Boden entzogen und die Politik in der Türkei in einen einstimmigen Chor umgewandelt werden. Die seit 2009 bis heute andauernden Operationen zeigen, dass auch eine Veränderung von Regierungen, Ministerpräsidenten, Staatspräsidenten und sogar Regierungssystemen nichts an der Kurdenfeindlichkeit und dem Feindrecht ändert.“

Statthalter in kurdischen Kommunalverwaltungen

„Der Zwangsverwalterputsch, der am 19. August in den Rathäusern von drei Provinzhauptstädten stattgefunden hat, geht weiter. Ebenso wird überall in der Türkei der Widerstand dagegen entschlossen fortgesetzt. Die AKP-Regierung hat die Explosion in Kulp [kurdisch: Pasûr] als Vorwand genommen, um auch in Kulp und Karayazı [kurdisch: Qereyazî] Zwangsverwalter einzusetzen und die Ko-Bürgermeister zu verhaften. Die Proteste gegen diese despotische Regierung, die den Willen des Volkes negiert und das aktive und passive Wahlrecht abschafft, haben sich von den kurdischen Städten auf weitere Städte wie Istanbul, Ankara und Izmir ausgeweitet. Dieser legitime und demokratische Widerstand der HDP und der aktive Solidarität ausübenden demokratischen Kräfte wird weitergehen, bis die HDP ihre Rathäuser zurückbekommt und die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister wieder im Amt sind.“

Erdoğan-Rede vor UN-Vollversammlung

Zur Rede des türkischen Präsidenten Erdoğan vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York erklärte Kubilay: „In den letzten Jahren sehen wir bei seinen Reden auf internationalen Versammlungen eine andere politische Identität, einen anderen politischen Charakter. Wenn Erdoğan über Rassismus und Hassreden spricht, sollte er in den Spiegel schauen.

Erdoğan hat Israel als zionistisch und für seine expansive, auf Besatzung ausgerichtete Politik kritisiert. Eine passende Antwort auf Netanyahus Entgegnung, dass er die Kurden massakriert, konnte er nicht geben. Warum wohl? Darüber sollte nachgedacht werden. Während seiner Rede vor der UN-Vollversammlung hat Erdoğan eine Landkarte gezeigt und davon gesprochen, dass in Nordsyrien, insbesondere im kurdisch besiedelten Rojava, Millionen syrische Flüchtlinge aus der Türkei untergebracht werden sollen. Bekanntlich ist aus den überwiegend kurdisch besiedelten Gebieten in Nordsyrien keine Migration in die Türkei erfolgt. Es sollen also die aus anderen Teilen Syriens in die Türkei migrierten Flüchtlinge gewaltsam in dem Gebiet angesiedelt werden, in dem die Bevölkerung überwiegend kurdisch ist. Warum? Weil er die Flüchtlinge dazu benutzen will, eine ethnische Säuberung ähnlich wie in Efrîn durchzuführen, damit die Kurden zu vertreiben und die demografische Struktur radikal zu verändern. Mit diesem genialen Plan will er sich gleichzeitig von den Kurden aus Syrien und den syrischen Flüchtlingen befreien.

Und warum hat er bei seiner Rede diesmal nicht vom Willen des Volkes gesprochen? Er konnte es nicht, denn die Vollversammlung der Vereinten Nationen ist kein Studio [des türkischen TV-Senders] A-Haber!“