IS-Rückkehrerin in Hamburg zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt

Vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg wurde am heutigen Donnerstag das Urteil im Prozess gegen die IS-Rückkehrerin Stefanie A. verkündet. Die Angeklagte wurde zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Am heutigen Donnerstag wurde im Prozess gegen die IS-Rückkehrerin Stefanie A. aus Bad Oldesloe das Urteil verkündet. Die 44-Jährige wurde zu einer Freiheitsstrafe von insgesamt sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Schuldig gesprochen wurde sie in zwei Fällen der Mitgliedschaft einer terroristischen Vereinigung nach § 129 b, des Kriegsverbrechens gegenüber Personen und der Verletzung der Fürsorgepflicht.

In der Urteilsbegründung wurde dargelegt, dass Stefanie A. Mitglied in einer im Ausland bestehenden terroristischen Vereinigung – dem sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) – gewesen sei und sich an dessen Zielen beteiligt habe. Stefanie A. reiste im Sommer 2016 mit ihrem damals
13-jährigen Sohn nach Syrien aus. Dort sind sie zunächst bei der dschihadistischen Miliz „Jund al-Aqsa“ gelandet und haben sich danach dem „Islamischen Staat“ (IS) angeschlossen. Der inzwischen
14-jährige Junge wurde der Miliz als Kindersoldat überlassen, womit ein Kriegsverbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch begangen wurde. Auch ihre Fürsorge- und Erziehungspflicht verletzte Stefanie A., weil sie ihren Sohn in ein Bürgerkriegsgebiet mitnahm. Dieser beteiligte sich aktiv an
Kampfhandlungen und sei mehrfach in akuter Lebensgefahr gewesen. Am 23. Februar 2018 kam der inzwischen 15-Jährige bei einem Bombenangriff ums Leben. Weil Stefanie A. ihn in das Herrschaftsgebiet des IS brachte, wurde sie auch der fahrlässigen Tötung schuldig gesprochen.

Ihr Ehemann und Vater der Söhne – ein gebürtiger Palästinenser – ist bereits 2015 zum IS nach Syrien gegangen. Das Paar hatte dem IS bis zuletzt die Treue gehalten und sich erst im Februar 2019 in der letzten IS-Enklave Hajin den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) ergeben. Der Mann kam in ein Gefängnis bei Hesekê, die Frau in das Auffang- und Internierungslager Hol bei Hesekê, aus welchem sie Ende 2020 oder Anfang 2021 mittels eines Schleusers Richtung
Türkei flüchten konnte. Am 24. März 2021 wurde Stefanie A. nach Deutschland überstellt, wo sie bei ihrer Ankunft in Berlin festgenommen wurde und in Untersuchungshaft kam.

Opfernarrativ überzeugt nicht

Schon im Plädoyer der Bundesanwaltschaft wurde darauf verwiesen, dem Opfernarrativ der Angeklagten keinen Glauben zu schenken. Die Versuche der Angeklagten, sich als naive Ehefrau darzustellen, die nur ihrem Mann gefolgt und diesem nach einer schweren Verletzung zu Hilfe gekommen sei, wurden in der Urteilsbegründung entsprechend widerlegt. So hätten ihre
Ausreisepläne bereits vor der Verletzung des Mannes bestanden, das entsprechende Narrativ habe sie erst während ihrer Internierung im Camp Hol erarbeitet.

Tatsächlich habe sich Stefanie A. spätestens nach der Ausreise ihres Mannes radikalisiert und es zunehmend als ihre Pflicht als Gläubige erkannt, im Gebiet des IS zu leben. Nach den IS-Anschlägen in Paris habe sie gesagt, dass die Opfer den Tod verdient hätten. Ihrem Sohn habe
sie erklärt, es sei wichtig, die Ungläubigen zu erniedrigen und zu hassen. Aus Syrien habe sie ihren älteren Sohn in Deutschland aufgefordert, auch in das IS-Gebiet zu kommen. Über den „Märtyrertod“ seines jüngeren Bruders sollte er sich freuen. Auch noch nach der militärischen Niederlage des IS habe sie 2020 in einem Telefongespräch mit ihrer Schwester die Terrororganisation verteidigt.

Die Bundesanwaltschaft hatte sieben Jahre und sechs Monate gefordert, die Verteidigung auf zwei Jahre und drei Monate Haft plädiert. Gegen das Urteil kann die Angeklagte Revision einlegen.

Kommende Prozesse und der Kampf um Aufklärung und Gerechtigkeit

Es werden künftig noch weitere Prozesse gegen IS-Rückkehrer:innen anstehen. Deshalb ruft eine Prozessbeobachtungsgruppe die Öffentlichkeit weiterhin dazu auf, die Verfahren zu verfolgen. Die Prozessführung gegen Europäer:innen, die sich dschihadistischen Gruppen wie dem IS angeschlossen haben, ist historisch bedeutsam und bedarf dringend Beobachtung und Dokumentation, um für vollständige und lückenlose Aufklärung sowie Gerechtigkeit einstehen und kämpfen zu können. Die feministische Prozessbeobachtungsstruktur freut sich über solidarische
Unterstützung von weiteren Personen für kommende Prozesse. Bei Interesse und Rückfragen kann unter [email protected] Kontakt aufgenommen werden.