Prozessbeginn gegen IS-Rückkehrerin Romiena S. in Celle

Vor dem OLG Celle hat der Prozess gegen die mutmaßliche „IS“-Terroristin Romiena S. begonnen, die Aussagen der Angeklagten ergeben Widersprüche. Vor dem Gerichtsgebäude forderten Frauenorganisationen eine lückenlose Aufklärung der IS-Verbrechen.

Am heutigen Mittwoch hat die Hauptverhandlung gegen die mutmaßliche „IS“-Terroristin Romiena S. vor dem Oberlandesgericht in Celle begonnen. Die Generalbundesanwaltschaft hatte die Anklage am 27. Dezember vergangenen Jahres unter anderem wegen der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung („Islamischer Staat“) sowie einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit erhoben. Der Angeschuldigten wird vorgeworfen, eine 16-Jährige überredet zu haben, mit ihr nach Syrien auszureisen, um sich dem selbsternannten Islamischen Staat anzuschließen. Diesen Plan sollen die beiden Frauen im Dezember 2014 umgesetzt haben. Außerdem soll Romiena S. laut Anklage ihre damals vierjährige Tochter gegen den Willen des Kindesvaters mitgenommen haben.

Nach islamischem Ritus habe Romiena S. in der Folge mehrere „IS“-Mitglieder geheiratet, deren Kampf sie durch die Haushaltsführung ermöglichte. Ihre Tochter und die zwei in Syrien geborenen Söhne habe sie nach Ideologie der islamistischen Organisation erzogen und ihre Tochter darüber hinaus zu der Steinigung einer Frau mitgenommen. Der Angeklagten wird zudem vorgeworfen, dass sie im Laufe des Jahres 2016 im Haushalt eines Sklavenhändlers in Raqqa gelebt und dort eine versklavte ezidische Frau überwacht und wirtschaftlich ausgebeutet habe. In diesem Bezug ist sie einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit verdächtig. Über Twitter soll sie außerdem ihre terroristische Gesinnung nach außen getragen haben, indem sie die Anschläge des „IS“ am 14. Juli 2016 in Nizza und am 18. Juli 2016 in Würzburg befürwortete.

Hinweise auf Widersprüche in der Hauptverhandlung

Am ersten Hauptverhandlungstag wurde durch die Generalbundesanwaltschaft die Anklageschrift verlesen. Danach nahm die Angeklagte ihr Recht auf eigene Darstellung wahr. Bei der anschließenden Befragung der Angeklagten zu ihren Ausführungen seitens des Senats kam es zu einigen Hinweisen auf Widersprüche zu ihren eigenen Aussagen. Deutlicher wurden die Widersprüche jedoch bezüglich des vorliegenden Beweismaterials. Die Beschuldigte nannte am ersten Prozesstag eine hohe Anzahl bekannter bereits verurteilter deutscher „IS“-Mitglieder sowie in diesem Zusammenhang in Deutschland aktuell Angeklagter. Nach einer Unterbrechung wies der vorsitzende Richter Rosenow sie explizit darauf, dass ein Geständnis rückhaltlos sein müsse und nicht nur das umfassen dürfe, was ohnehin bewiesen werden könne.

Frauen im IS sind keine Mitläuferinnen“

Fotos: Andrea Knoop

Anlässlich des Prozessauftaktes fand am Mittwochmorgen eine Kundgebung mit der Forderung nach lückenloser Aufklärung der „IS“-Verbrechen vor dem OLG in Celle statt. Zu der Kundgebung hatten der Dachverband des êzîdischen Frauenrats e. V. (Sîwana Meclîsa Jinên Êzîdî) und die „Feministische Organisierung: Gemeinsam kämpfen! Für Selbstbestimmung und Demokratische Autonomie“ aufgerufen. Cicek Yildiz, Vertreterin des ezidischen Frauendachverbands, sagte zu den Hintergründen: „Wir Frauen möchten Gerechtigkeit, ohne Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden mit sich selbst und auch nicht in der großen Gesellschaft. Wir wollen unsere Wunden versorgen, wenn man uns ließe – die Anerkennung des Genozids und Feminizids ist eine wichtige Grundlage dafür.“

Auch die feministische Organisierung „Gemeinsam kämpfen“ teilt diese Auffassung. Mila Borkner, eine Vertreterin, erklärte: „Frauen im IS sind keine Mitläuferinnen. Sie haben tragende Rollen eingenommen und sich an den unmenschlichen Verbrechen aktiv beteiligt. Die Anklageschrift gegen Romiena S. ist hierfür ein eindeutiges Beispiel.“ Aus diesem Grund beteiligen beide Organisationen sich an der Prozessbeobachtung in Celle.

Von der Bundesregierung aus Nordsyrien zurückgeholt

Romiena S. wurde Anfang 2019 im Verlauf der Befreiungsoffensive „Gewittersturm Cizîrê“ nahe der irakischen Grenze von den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) festgesetzt und lebte danach in Auffang- und Internierungslagern im Autonomiegebiet, zuletzt im Camp Roj. Im Oktober 2021 holte die Bundesregierung sie zusammen mit sieben weiteren Frauen und 23 Kindern nach Deutschland zurück. S. wurde noch am Flughafen in Frankfurt am Main festgenommen. Seitdem sitzt sie in Untersuchungshaft.