„Die HDP ist eine Säule des demokratischen Widerstands, die nicht wegbrechen wird. Der Kampf um Demokratie wird weitergehen.” Das erklärten die beiden Ko-Vorsitzenden der Partei, Pervin Buldan und Mithat Sancar, am Donnerstag in Ankara. Zuvor hatte sich der zentrale Exekutivrat bei einer Dringlichkeitssitzung über das weitere Vorgehen gegen das drohende Parteiverbot beraten. Dabei wurde beschlossen, unter Berücksichtigung der Vorschläge des Parteirats, des Frauenrats, den Provinz- und Bezirksverbänden und allen anderen Komponenten der HDP eine Roadmap zu erarbeiten. Konkrete Maßnahmen seien bislang nicht beschlossen worden. Erst im Anschluss an die Newroz-Feierlichkeiten an diesem Wochenende wolle man die Arbeiten für den Fahrplan aufnehmen.
Pressekonferenz in der HDP-Zentrale in Ankara
Am Mittwoch hatte der Generalstaatsanwalt des türkischen Kassationsgerichts auf Initiative der ultranationalistischen MHP eine Anklageschrift an den Verfassungsgerichtshof geschickt, um die HDP verbieten zu lassen. Zur Begründung heißt es unter anderem, Politikerinnen und Politiker der Partei hätten mit ihren Aussagen und Handlungen beabsichtigt, die Integrität des Staates zu untergraben. Außerdem sollen über 680 der wichtigsten Funktionäre der Partei mit einem Politikverbot für fünf Jahre belegt werden, damit sie nicht in einer neuen Partei aktiv werden können. Wenige Stunden vor Einreichung des Antrags war in der türkischen Nationalversammlung dem HDP-Abgeordneten Ömer Faruk Gergerlioğlu das parlamentarische Mandat entzogen worden. Die Anzahl der HDP-Abgeordneten ist damit auf 55 gesunken.
Gewalt- und Unterdrückungspolitik gegen die HDP
„Die türkische Regierung betreibt seit Jahren eine Gewalt- und Unterdrückungspolitik gegen die HDP“, sagte Pervin Buldan. Diese Repression habe sich insbesondere ab 2016 verschärft. Rund 10.000 HDP-Mitglieder wurden seitdem inhaftiert, darunter etliche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die durch Treuhänder ersetzt wurden. Allein seit 2019 wurden in 48 Städten und Gemeinden in den kurdischen Landesteilen demokratisch gewählte Vorstände durch staatliche Zwangsverwalter ersetzt. Die Unterdrückungspolitik betreffe aber schon längst nicht mehr nur die Opposition, sondern die gesamte Gesellschaft, betonte Buldan. Die Völker der Türkei seien einem „Elend“ ausgesetzt und befänden sich im Klammergriff der Regierung. „Doch trotz der äußerst schwierigen Umstände, trotz dem Eskalationskurs gegen die HDP geht unser Kampf für Frieden und Demokratie weiter. Wir werden vor den Unterdrückern nicht in die Knie gehen.“
Königsmacherin bei Wahlen
Die HDP war bei vergangenen Wahlen in der Türkei mehrfach das Zünglein an der Waage. Bei den letzten Parlamentswahlen im Jahr 2018 hat sie fast sechs Millionen Stimmen erhalten und bildet damit die zweitstärkste Oppositionsfraktion im Parlament. Doch besonders die Kommunalwahlen im März 2019 trugen zu ihrem Ruf als Königsmacherin bei. Damals verzichtete die Parteiführung in einigen Städten auf eigene Kandidierende und rief stattdessen ihre Wählerinnen und Wähler dazu auf, den Kandidaten der CHP ihre Stimme zu geben. Fakt ist: Ohne Rückendeckung der HDP wäre beispielsweise der Wahlsieg von Ekrem Imamoğlu in Istanbul nicht möglich gewesen. Dieser geschickte Schachzug führte zwar zur ersten Wahlniederlage des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und seiner AKP. Doch für die Finte, die der CHP so sehr nutzte, rächt sich die Regierungspartei an der HDP – bis heute.
Grundlage für Racheexzess „Putschmentalität“ der Regierung
Dieser Racheexzess solle nun mit der Verhaftung der noch verbliebenen Parteiabgeordneten eine neue Stufe erreichen, führte Buldan weiter aus. Derzeit sitzen bereits 13 ehemalige Abgeordnete hinter Gittern, darunter die Ex-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yuksekdağ. Zuletzt wurden Leyla Güven und Musa Farisoğulları verhaftet. Ömer Faruk Gergerlioğlu wird der vierzehnte HDP-Parlamentarier im Gefängnis sein. Grundlage hierfür sei die „Putschmentalität“ der Regierung, sagte Buldan. Die Politikerin bezeichnet das Verbotsverfahren gegen ihre Partei als eine „politische Operation“. Der Versuch die HDP auszuschalten sei aber auch ein Ergebnis der „Isolationspolitik“, die längst nicht mehr auf Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali, sondern die gesamte Gesellschaft betreffe. „Die totale Abschottung Öcalans von seiner Außenwelt ist zentrales Thema auf der Agenda der kurdischen Bevölkerung. Der Unwillen der Regierung, die kurdische Frage zu lösen, steht in direktem Zusammenhang mit der Isolation der Gesellschaft und damit dem Verbotsverfahren gegen die HDP.“ Die Türkei brauche einen wahren Frieden, Demokratie und Freiheiten, hob Buldan hervor. Um dies zu erreichen, werde ihre Partei ihrer Überzeugung zum Widerstand treu bleiben. „Was auch immer die Regierung tut, werden wir weiterhin den Weg gehen, an den wir glauben. Die Belange unserer Völker haben für uns oberste Priorität.” Gerichtet an die demokratischen Kräfte im Land mahnte Buldan Solidarität an. „Was heute uns angetan wird, wird morgen sicherlich euch treffen. Es ist der Moment unserer gemeinsamen Pflicht und Verantwortung, gegen dieses Unrecht Seite an Seite vorzugehen.”
Sancar: Die HDP ist das Volk
Buldans männlicher Gegenpart Mithat Sancar sagte, das wahre Ziel des Verbotsantrags sei die Abschaffung der Hoffnung auf Demokratie und die „Institutionalisierung des Faschismus”. Die Regierung sei festgefahren in ihrer „Politik der Lösungslosigkeit“, die das Land in eine Dunkelheit stürze, und unternehme Schritte, die die Suche nach einem Ausweg aus der Sackgasse unmöglich machten. Der „politische Putsch“ von 2015, als die türkische Regierung den Friedensprozess mit der PKK aufkündigte und wieder auf Krieg setzte, habe sich vertieft und auf mehreren Ebenen eine neue Dimension erreicht. „Die HDP dagegen hat mit ihrer kompromisslosen Haltung, ihrem Beharren auf demokratischer Politik und ihrer Hartnäckigkeit, lösungsortientierte Politik zu betreiben gezeigt, dass sie das größte und stärkste Hindernis auf dem Weg zu den Zielen dieser Regierung ist.”
HDP-Verbot Garant für Machterhalt der AKP
Die HDP zu verbieten sei für die AKP und MHP offensichtlich der einzige Garant des Machterhalts, so Sancar weiter. „Aber sich uns zu entledigen führt sie nur noch näher zu ihrem eigenen Verderben. Jeder Angriff gegen uns ist ein Eingeständnis der eigenen Schwäche, ein Eingeständnis des Machtverlustes. Die Regierung glaubt, durch die Missachtung von Gesetzen, Gerechtigkeit, Gewissen und Moral ihren Weg ohne weiteres gehen zu können, aber sie irrt sich gewaltig.“
Die HDP ist eine große Idee, die HDP ist das Volk
Die HDP ist eine große Idee, die HDP ist das Volk, führte Sancar weiter aus. Wäre es möglich Völker auszuschalten, würden alle Diktaturen unsterblich sein. „Wenn wir jedoch auf die Geschichte zurückblicken, so stellen wir fest, dass keine Diktatur je das ewige Leben erlangt hat und noch nicht einmal ein Tausendstel der erhofften Zeit erreicht.“