Mit der Verlesung des rechtskräftigen Urteils gegen Ömer Faruk Gergerlioğlu in der türkischen Nationalversammlung ist dem HDP-Abgeordneten das parlamentarische Mandat entzogen worden. Die Anzahl der HDP-Abgeordneten ist damit auf 55 gesunken.
Gergerlioğlu gab auf Twitter eine erste Stellungnahme ab: „Ich bin Abgeordneter meiner Partei und gehe nirgendwohin. Ich werde mich gegen den Putsch wehren. Der Willen des Volkes darf nicht mit Füßen getreten werden. Die Forderung nach Frieden ist keine Straftat.“ Im Parlament sagte er: „Niemand kann die Geschwisterlichkeit der Völker verhindern. Berxwedan jiyane, Leben heißt Widerstand!“
Das Parlamentspräsidium forderte Gergerlioğlu auf, den Sitzungssaal zu verlassen, die Sitzung wurde unterbrochen. Die HDP-Fraktion protestierte mit einem Sitzstreik gegen die Entscheidung.
Bereits vor der Verlesung des Urteils hatte sich die HDP-Vizefraktionsvorsitzende Meral Danış Beştaş zu Wort gemeldet und erklärt: „Es handelt sich nicht um eine juristische Entscheidung, sondern um eine politische.“
Auf einer einberufenen Pressekonferenz machte die HDP-Politikerin darauf aufmerksam, dass Gergerlioğlu mit dem Verlust seines Abgeordnetenmandats die sofortige Verhaftung droht. HDP-Vizefraktionsvorsitzender Saruhan Oluç erklärte, die Partei werde sich dem rechtswidrigen Beschluss nicht beugen: „Wir werden unseren Kampf für Rechte und Demokratie auf nationaler und internationaler Ebene fortsetzen.“ Die Regierungskoalition werde sich „früher oder später“ vor Gericht für ihr Vorgehen verantworten müssen.
Unterdessen kam es im Parlament zu weiteren Tumulten, als der AKP-Abgeordnete Alpay Özalan versuchte, Gergerlioğlu gewaltsam aus dem Sitzungssaal zu entfernen.
Im Februar hatte der türkische Kassationshof eine zweieinhalbjährige Haftstrafe gegen Ömer Faruk Gergerlioğlu wegen seiner sowohl an den türkischen Staat als auch die kurdische Bewegung gerichteten Friedensappelle bestätigt. Von der Justiz wird der Einsatz des 55-Jährigen für Frieden als Terrorpropaganda ausgelegt. Der Politiker, der von Beruf eigentlich Arzt ist und sich als Menschenrechtsverteidiger einen Namen gemacht hat, setzt sich mit einer Verfassungsklage gegen das Urteil zur Wehr. Das Urteil gegen ihn sei grob „unfair“. Der Immunitätsentzug ist erfolgt, obwohl die Entscheidung des Verfassungsgerichts über seinen Fall noch aussteht.