Der kurdische Politiker und Rechtsanwalt Doğan Erbaş ist am Montagabend in Ankara festgenommen worden. Grund ist eine rechtskräftige Verurteilung zu mehr als zwölf Jahren Freiheitsstrafe wegen Mitgliedschaft in einer „Terrororganisation“. Der 60-Jährige wurde in das Gefängnis Sincan überstellt.
Erbaş gehörte zu den ersten Verteidiger:innen von Abdullah Öcalan und war im Dezember 2022 von einem Strafgericht in Istanbul zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Er stand gemeinsam mit elf weiteren Politiker:innen der Demokratischen Partei der Völker (HDP) wegen „Mitgliedschaft in und Propaganda für eine terroristische Vereinigung“ seit 2017 vor Gericht, neun von ihnen wurden verurteilt. Angeklagt waren Mitglieder des ehemaligen HDP-Vorstands des Istanbuler Provinzverbands. Erbaş war zum betreffenden Zeitpunkt Ko-Vorsitzender des Verbandes.
Inanspruchnahme demokratischer Rechte wird als „Terror“ kriminalisiert
Insgesamt 15 Mitglieder der Istanbuler HDP waren damals für 25 Tage in Polizeigewahrsam genommen worden, bevor gegen elf von ihnen Untersuchungshaft verhängt wurde. Vorgeworfen wurden den Angeklagten allgemeine politische Aktivitäten, unter anderem das Organisieren von Versammlungen, Presseerklärungen oder Beiträge in sozialen Medien. Auch die Teilnahme an Protesten, etwa gegen die Absetzung gewählter Bürgermeister:innen, die Zwangsverwaltung kurdischer Kommunen sowie die Inhaftierung von Parlamentsabgeordneten wurden als Beweise für die angebliche „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“ gewertet.
HDP: Politisch motivierter Prozess
Die HDP hatte das Verfahren als politisch motiviert kritisiert und die Beweise in der mehr als 400 Seiten starken Anklageschrift als absurd bezeichnet. Zu der Auffassung war auch das türkische Verfassungsgericht gelangt, zumindest teilweise: insgesamt acht Angeklagten wurde im März 2022 eine Entschädigung in Höhe von jeweils 40.000 TL zugesprochen, weil die Rechtsgrundlage für ihre Inhaftierung fehlte. Lediglich Doğan Erbaş und Kasım Oba gingen leer aus. Beide Politiker waren mit knapp zwei Jahren Untersuchungshaft am längsten in Gefangenschaft. Nun soll das Urteil vollstreckt werden.