Im laufenden Verbotsverfahren gegen die Demokratische Partei der Völker (HDP) hat die Generalstaatsanwaltschaft am türkischen Kassationsgerichtshof vergangene Woche dem Verfassungsgericht ein 41-seitiges Plädoyer vorgelegt. Der HDP wurde für ihre Verteidigung eine Frist von dreißig Tagen eingeräumt. Parallel zu dem Verbotsverfahren läuft der sogenannte Kobanê-Prozess und in Izmir wurde am Montag der Prozess gegen den Mörder der HDP-Mitarbeiterin Deniz Poyraz fortgesetzt. Gegen die HDP-Abgeordnete Semra Güzel findet nach einer gezielten Lynchkampagne ein Verfahren zur Aufhebung ihrer parlamentarischen Immunität statt.
Politische Instrumentalisierung der Justiz
Der HDP-Politiker und Rechtsanwalt Doğan Erbaş hat sich gegenüber ANF zu diesen Vorgängen geäußert. Erbaş ist Mitglied des Parteirats der HDP und unterstreicht, dass das Verbotsverfahren von Anfang an politisch motiviert war: „Dieser Prozess ist aus politischen Gründen angestrengt worden. Wir betrachten ihn als Offenbarung der traditionell kurdenfeindlichen AKP/MHP-Regierung, die die HDP aus der politischen Gleichung zu streichen versucht. Uns ist eine Frist von dreißig Tagen gesetzt worden und wir haben eine Fristverlängerung beantragt, über die noch nicht entschieden ist. Es ist ein juristischer Skandal, dass bereits plädiert werden soll, bevor die Betroffenen, gegen die ein politisches Betätigungsverbot verhängt werden soll, angehört worden sind. Dafür gibt es nur eine Erklärung: Das Urteil ist ohnehin schon gefallen und soll so schnell wie möglich verkündet werden. Die Justiz wird instrumentalisiert und dient nur der Verschleierung.“
Gezielte Rufmordkampagne gegen Semra Güzel
Das gegen die HDP-Abgeordnete Semra Güzel angestrengte Verfahren zur Aufhebung ihrer parlamentarischen Immunität bezeichnet Erbaş als Komplott. Die Vorarbeit hierzu leistete eine medial aufwendige und staatlich gelenkte Diffamierungskampagne gegen die kurdische Politikerin und Ärztin. Grundlage des angestrebten Verfahrens sind Fotos, welche die 38-Jährige mit dem Guerillakämpfer Volkan Bora zeigen. Die Aufnahmen entstanden im Jahr 2014 in einem Guerillacamp in Südkurdistan während der Friedensverhandlungen zwischen dem türkischen Staat und der PKK.
Doğan Erbaş weist darauf hin, dass diversen HDP-Abgeordneten die Immunität entzogen werden soll. Im Fall von Semra Güzel sei jedoch die vorangegangene Rufmordkampagne bemerkenswert: „Wir haben es mit einem Komplott gegen Semra Güzel zu tun. Es gibt zahlreiche ähnliche Fotos aus diesem Zeitraum, in dem viele Menschen ihre Angehörigen dort besucht haben. Diese Besuche fanden sogar im Wissen und Einverständnis der Regierung statt. Das Foto ist Jahre später veröffentlicht worden und soll jetzt im Verbotsverfahren als Beweismittel dienen.“
„Der Mörder Onur Gencer hat Hintermänner“
Auf die Frage nach der Aussage des Angeklagten Onur Gencer im Prozess zu dem Mord an Deniz Poyraz sagt Doğan Erbaş, dass die Richter nur zugehört hätten, als dieser erklärte, er hätte gern ein größeres Blutbad in der HDP-Zentrale in Izmir angerichtet. „Onur Gencer hat auch gesagt, dass sein eigentliches Ziel Abdullah Öcalan und Selahattin Demirtaş waren. Weil er an diese nicht herankam, habe er das Parteigebäude gewählt. Er hat außerdem betont, dass er seine Tat nicht bereut. Das Gericht hat diese Ausführungen verfolgt und nicht eingegriffen. Die Angehörigen von Deniz Poyraz und wir haben dagegen protestiert. So lief die Verhandlung am Montag. Gencer erzählte von einem Anschlag auf ihn und einen Leutnant in Minbic und sprach von etwas, das seiner Mutter 1998 angetan worden sein soll. Für Onur Gencer ist eine Geschichte erfunden worden von den Kräften, die ihm logistische, politische und moralische Unterstützung gewährleistet und ihn zu seiner Tat angespornt haben. Mit dieser Geschichte werden die Hintermänner geschickt verschleiert. Gencer hat sie ganz entspannt erzählt. Es geht hier um eine professionellen Mörder, der losgezogen ist, um möglichst viele Menschen zu töten, und nur auf Deniz Poyraz getroffen ist. Dieser Mörder hat Hintermänner, die ihn organisiert haben. Einen großen Anteil hat auch die politische Atmosphäre, die durch die Hassreden gegen die HDP erschaffen worden ist.“