Die Fraktion der Demokratischen Partei der Völker (HDP) im türkischen Parlament hat ihre „Mahnwache für Gerechtigkeit“ beendet. Am Freitag versammelten sich mehrere Abgeordnete ein letztes Mal, um im Rahmen ihrer kurz vor Weihnachten gestarteten Initiative gegen die völlige Entrechtung von Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali zu protestieren und die Beendigung der Rechtslosigkeit dort einzufordern. Als Redner der letzten Mahnwache trat der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Saruhan Oluç auf. Er äußerte sich zunächst zu den Zielen und Dimensionen der Haftsituation auf Imrali und zeichnete einen kurzen Umriss der Auswirkungen dieses Systems auf die kurdische Gesellschaft.
„Isolation steht auch für die totale Aushebelung der Justiz“
„Die Haftbedingungen auf Imrali sind beispiellos im internationalen Vergleich. Damit hat die türkische Staatsgewalt dem Land ein weiteres Mal zu einer ‚Bravourleistung‘ verholfen. Nur handelt es sich hierbei nicht um eine Glanztat“, betonte Oluç. Isolation bedeute eben nicht nur, Anwalts- und Familienbesuche sowie Telefonkontakte Öcalans zu verweigern. „Isolation steht auch für die totale Aushebelung der Justiz. Sie begegnet uns gleichermaßen in der von dieser Regierung betriebenen Politik mit dem Ziel einer vollkommenen Beseitigung demokratischer Errungenschaften des kurdischen Volkes.“
An der letzten Mahnwache beteiligten sich neben Saruhan Oluç auch Gülistan Kılıç Koçyiğit, Ali Kenanoğlu, Muazzez Orhan, Kemal Bülbül, Abdullah Koç, Dilan Dirayet Taşdemir, Ayşe Sürücü, Kemal Peköz, Rıdvan Turan und Hüseyin Kaçmaz.
Verstoß gegen nationales wie internationales Recht
Oluç sprach die seit knapp zwei Jahren andauernde Funkstille aus Imrali an und verwies auf hunderte in dieser Zeit gestellte Besuchsanträge von seinem Rechtsbeistand sowie Familienangehörigen, die von der türkischen Justiz entweder gänzlich ignoriert, oder mit Verweis auf „rechtswidrige Disziplinarstrafen“ abgelehnt wurden. Seit 2019 ist ein Verbot von Anwaltsbesuchen auf Imrali in Kraft, den letzten Familienbesuch erhielt Öcalan 2021. Die Totalisolation auf der Insel betrifft gleichermaßen die drei anderen Imrali-Gefangenen Ömer Hayri Konar, Hamili Yıldırım und Veysi Aktaş. „Hier wird ganz offensichtlich nationales wie internationales Recht gebrochen. Praktisch alle Rechte, die durch die Verfassung und durch von der Türkei unterzeichnete internationale Abkommen unter Schutz stehen, werden auf Imrali systematisch verletzt und außer Kraft gesetzt. Weltweit gibt es zahlreiche Anwältinnen und Anwälte, die sich für die Überwindung dieses Unrechts einsetzen. Es ist die derzeitige Regierung, die den Zustand dieses Landes zu verantworten hat.“
Totalisolation auf Imrali ist ein internationales Problem
Oluç erwähnte auch Besuchsanträge von weit mehr als 2.000 Juristinnen und Juristen aus über 30 verschiedenen Ländern, die im vergangenen Jahr beim türkischen Justizministerium und der für Imrali zuständigen Staatsanwaltschaft in Bursa eingegangen sind. Unter ihnen befanden sich auch 775 Mitglieder verschiedener Kammern in der Türkei. „Wir sprechen aber auch von internationalen Anwaltskammern und von der Europäischen Vereinigung von Juristinnen & Juristen für Demokratie und Menschenrechte in der Welt [EJDM], die Anträge für Besuche auf Imrali eingereicht haben. Auch hier haben Behörden und Regierung es für überflüssig erachtet, eine Reaktion zu zeigen. Das ist ein zutiefst bedauernswerter Zustand für die Verantwortlichen. Das globale Engagement gegen die Abwesenheit juristischer Rechte auf Imrali verdeutlicht, dass die Totalisolation auf Imrali inzwischen ein internationales Problem ist.”
Sternmarsch auf Gemlik
Öcalan verlange keine Sonderbehandlung, führte Oluç weiter aus. „Er möchte lediglich, dass man ihm die Ausübung seiner Grundrechte ermöglicht. Dies ist auch das Anliegen unserer Partei, das wir Regierung und Justizministerium immer wieder vor Augen führen. Wir fordern lediglich die Achtung vor der Rechtsordnung ein. Für dieses Ziel werden wir am 6. Februar einen Sternmarsch auf Gemlik veranstalten. Unsere Devise wird lauten: ‚Für eine Lösung – wir marschieren nach Imrali’. Denn die rechtswidrigen Bedingungen auf Imrali müssen umgehend korrigiert werden. Es ist unerlässlich für dieses Land, dass Friedensverhandlungen geführt werden. Daher rufen wir das Justizministerium erneut dazu auf: Beendet die Rechtslosigkeit! Beantwortet die Besuchsanträge!”