Die „Internationale Delegation gegen Isolation“ hat in einer Deklaration ihre Ablehnung des Foltersystems auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali bekräftigt und seine Abschaffung gefordert. „Imrali ist ein Bereich der politischen und juristischen Verdunkelung“, erklärte die Delegation hinsichtlich der Haftbedingungen dort, die längst nicht nur Abdullah Öcalans und seine drei Mitgefangenen betreffen. „Wir mussten feststellen, dass das Imrali-System in der Türkei zu einer Regierungsmethode geworden ist.“ Um Rechtstaatlichkeit wieder herstellen zu können, sei es unabdingbar, dass es aufgelöst wird.
Die Verkündung der Deklaration erfolgte am Samstag in Istanbul im Rahmen eines Forums, in das die Reise der Delegation gipfelte. Dieser gehören 36 Jurist:innen, Journalist:innen und Akademiker:innen aus sieben verschiedenen Ländern an, die in den letzten Tagen in Amed (tr. Diyarbakır), Istanbul und Ankara eine Reihe von Gesprächen mit verschiedenen Menschenrechtsorganisationen, Parteien und NGOs führten. Neben Vertreter:innen der Delegation nahmen an dem Forum zahlreiche Politiker:innen, Jurist:innen, Aktivist:innen und Journalist:innen teil, darunter Cengiz Çiçek (HDK), Berdan Öztürk (KCD), Saliha Aydeniz (DBP) und Ebru Günay (HDP). Auch Mitglieder des Verteidigungsteams von Abdullah Öcalan aus der Kanzlei Asrin, Frauen vom Rat der Friedensmütter und der Juristenverband ÖHD waren vor Ort.
Auf dem Forum, das nach den Eröffnungsansprachen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, wurden Vorschläge zum Kampf gegen das Isolationssystem auf Imrali, zur Situation kranker Gefangener und zu den damit zusammenhängenden Mahnwachen für Gerechtigkeit diskutiert. Mitglieder der internationalen Delegation schilderten ihre Eindrücke der vergangenen drei Tage, machten aber auch Vorschläge und stellten Forderungen auf, mit denen der Kampf gegen die Isolation auf die internationale Bühne gebracht werden soll.
Die Imrali-Isolation ist politisch
Im Anschluss veröffentlichte die Delegation eine gemeinsame Deklaration, die von der Öcalan-Anwältin Raziye Öztürk vorgetragen wurde. Darin hieß es, die Delegation habe sich aufgrund von Gesprächen mit juristischen Verbänden und Nichtregierungsorganisationen, die im Bereich der Menschenrechte tätig sind, Anwaltskammern, politischen Parteien und den Familienangehörigen der Imrali-Gefangenen ein umfassendes Bild des Isolationssystems auf der Insel gemacht. Die Delegation sei dabei zu folgenden Empfehlungen gekommen:
* Die Praktiken auf Imrali überschreiten die Definition von Isolation und haben den Punkt der absoluten Incommunicado-Haft erreicht. Die Situation macht es unabdingbar, dieses Thema nicht nur als juristisches, sondern auch als politisches Problem zu definieren.
Demokratische Öffentlichkeit muss sich mit Isolation auseinandersetzen
* Ohne sich mit der kurdischen Frage, in deren Zentrum Imrali steht, und ihren politischen und sozialen Dimension auseinanderzusetzen und Position zu beziehen, kann sich die demokratische Öffentlichkeit nicht ihrer Mitverantwortung für die Isolation entziehen.
* Nicht nur Abdullah Öcalan und die politischen Gefangenen sind isoliert, sondern die gesamte gesellschaftliche Opposition. Das Leben als Ganzes befindet sich im Belagerungszustand. Ein Ausweg aus dieser Belagerung ist nur durch einen gemeinsamen juristischen, politischen und sozialen Kampf möglich.
* Auf Imrali ist sämtliches Recht ausgehebelt. Es ist äußerst besorgniserregend, dass die Anwält:innen der Gefangenen auf Imrali und Menschenrechtsverteidiger:innen an ihrer Arbeit gehindert werden und Ermittlungsverfahren und Strafverfolgung ausgesetzt sind. Dies ist an sich schon ein Hinweis darauf, dass der Bereich Recht und Menschenrechte sowohl in beruflicher Hinsicht als auch in Bezug auf seine Werte angegriffen wird.
Die Rechtstaatlichkeit muss wieder hergestellt werden
* Es ist nicht hinnehmbar, dass europäische Staaten die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und andere internationale Konventionen um ihrer eigenen Interessen willen ignorieren und die universellen Werte der Menschenrechte blockiert werden. Angesichts dieser Ignoranz ist es in dieser Phase unumgänglich, ein Netzwerk für den Kampf für Recht und Gerechtigkeit auf globaler Ebene aufzubauen.
* Wir wiederholen unsere Forderung an die Verantwortlichen in der Türkei, die Rechtsstaatlichkeit auf Imrali umgehend wiederherzustellen. Wir bekräftigen die Verantwortung aller europäischen Staaten in Bezug auf diese Frage; und wir fordern diese Staaten auf, grundlegende Menschenrechte nicht geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen zu opfern.
Die Situation auf Imrali ist kritisch
* Der Umgang mit Imrali und die dortige juristisch-politische Situation ist ein Prüfstein für die demokratischen Standards und die politische Situation in der Türkei.
* Es ist nicht möglich, die kurdische Frage und die damit zusammenhängenden Probleme wie Armut, Hunger, Migration und Flucht, patriarchale Unterdrückung, kulturelle Erosion und ökologische Zerstörung, die durch den Krieg verursacht werden, zu lösen, ohne das System der absoluten Isolation und Folter auf Imrali abzuschaffen. Daher ist die Situation auf der Insel von entscheidender Bedeutung für die Demokratisierung der Türkei und die dauerhafte Lösung der Probleme.
* Das diskriminierende Vollzugsregime gegen politische Gefangene, das zuerst auf Imrali eingeführt wurde und sich nach und nach auf alle Gefängnisse im Land ausbreitete, muss beendet werden. Die Achtung der grundlegenden Menschenrechte aller Gefangenen, insbesondere der kranken Inhaftierten, muss wieder zum Standard werden.
Imrali ist zur Regierungsmethode geworden
* Das Imrali-System wird als Herrschaftstechnik genutzt. Diese Situation ist kein Ausnahmezustand, sondern hat sich zu einer rechtlich-politischen Herrschaftsform entwickelt, die sich über das ganze Land ausgebreitet hat. Das Überleben der Regierung wird über die Zukunft von Millionen Menschen gestellt.
* Abdullah Öcalan ist seit 24 Jahren Folterungen aller Art ausgesetzt. Das Hauptziel dieser Praxis besteht darin, den demokratisch legitimierten Kampf der gesellschaftlichen Opposition zu liquidieren. Aus diesem Grund muss das primäre und grundlegende Ziel aller gesellschaftlichen Oppositionskräfte, Rechts- und Menschenrechtsverteidiger:innen die vollständige Abschaffung des Imrali-Systems sein.
* Die kurdische Frage ist zu einem Problem des Nahen Ostens und der ganzen Welt geworden. Daher sollte die Lösung dieser Frage auf die Tagesordnung gesetzt werden, insbesondere wenn man die Entwicklungen und Folgen im Nahen Osten und in der Welt im Allgemeinen betrachtet. Dazu ist es unerlässlich, dass die gesamte fortschrittliche Menschheit die Initiative ergreift und aktiv wird.
Das CPT muss seine Beobachtungen veröffentlichen
* Wir fordern das CPT (Europäisches Komitee zur Verhinderung von Folter) erneut auf, angesichts der dringenden und besorgniserregenden Situation der absoluten Isolation auf Imrali Verantwortung zu übernehmen. Wir erwarten von allen Verfechter:innen der Menschenrechte, dass sie Druck auf das CPT aufbauen. Darüber hinaus fordern wir, dass das CPT seine Beobachtungen zum letzten Besuch auf Imrali unverzüglich der Öffentlichkeit zugänglich macht.
* Das heutige Forum war ein Treffen, bei dem wir unser Gedächtnis auffrischen und uns mit uns selbst auseinandersetzen konnten. Daraus resultiert die Notwendigkeit, dass die Mitglieder des Forums eine Vorreiterrolle beim Ausbau und der Stärkung des Netzwerks der Solidarität und des gemeinsamen Kampfes spielen müssen.
Schluss mit der Incommunicado-Haft
* Imrali ist ein Bereich der politischen und juristischen Verdunklung. Nicht nur dem Volk wird angesichts der Realität des Imrali-Systems das Recht auf Information vorenthalten. In diesem Umfeld der Verschleierung gerät auch die Politik als Institution ins Wanken und verliert ihre Richtung. Die derzeitige besorgniserregende Situation, seit 22 Monaten keine Nachrichten von Imrali zu erhalten, muss sofort beendet werden.
Öcalans Freiheit ist unvermeidlich
* Die Lösung all dieser Probleme liegt in einer demokratischen und sozialen Lösung der kurdischen Frage. Die Freiheit Abdullah Öcalans ist Voraussetzung für die politische und friedliche Lösung der kurdischen Frage und die Demokratisierung der Türkei.