Seit dem von den USA und der Türkei unterstützten und zwischen der PDK und der irakischen Regierung am 9. Oktober 2020 geschlossenen Abkommen zur Zukunft von Şengal steht das ezidische Siedlungsgebiet in Südkurdistan unter hoher Anspannung. Die Menschen in der Region sind wütend darüber, dass die PDK und der Irak, die das ezidische Volk beim IS-Angriff 2014 im Stich gelassen haben und geflüchtet sind, nach der Befreiung durch die HPG und die Verteidigungseinheiten YPG/YPJ aus Rojava jetzt erneut die Herrschaft über das Gebiet erlangen wollen.
Nach dem in Bagdad getroffenen Abkommen hat eine türkische Kampfdrohne am 8. November einen Luftangriff auf ein Dorf in der Gemeinde Sinûne durchgeführt. Bei dem Angriff ist ein Zivilist getötet worden. Die Menschen in Şengal sagen dazu: „Seit Jahrhunderten sind wir Massakern ausgesetzt. Inzwischen haben wir nichts mehr zu verlieren, wir werden bis zum letzten Blutstropfen gegen die PDK, die irakische Regierung und den türkischen Staat kämpfen.“
„Şengal wird zum Gegenstand schmutziger Verhandlungen gemacht“
Pîr Xwêdê Necîde bezeichnet es als Verrat, dass die PDK Şengal an die Türkei verkauft. Er vergleicht die heutige Situation mit dem IS-Angriff 2014 und sagt: „Damals sind die Hevals von der PKK gekommen und haben uns und die Frauen gerettet. Mesûd Barzanî behauptet, dass er die Eziden vor weiteren Ferman schützen will, aber gleichzeitig trifft er sich mit Erdogan. Für die Bevölkerung ist das traurig. Şengal ist unsere Heimat und wird ständig zum Gegenstand schmutziger Verhandlungen gemacht.“
Der Verrat von 2014 wiederhole sich, stellt Necîde fest: „Mesûd Barzanî hat das ezidische Volk an Bagdad verkauft. Wer jetzt behauptet, dass die Eziden nicht nach Şengal zurückkehren wollen, sollte wissen, dass wir zu dem Verrat nicht schweigen werden. Wer auch immer es zu verhindern versucht, wir werden weiter an unserem Geburtsort leben. Es ist auch nicht das erste Mal, dass die Barzanî-Familie uns so etwas antut. Sie hat Şengal ungefähr zehn Mal verlassen und uns nicht geschützt. Ich hoffe, dass Barzanî, der sein eigenes Volk verrät, niemals einen eigenen Staat bekommt. Verräter bleiben immer allein und verschwinden irgendwann wieder. Mesûd Barzanî ist ein solcher Verräter. Er kommt ständig mit neuen Machenschaften an. Auch für die gestrige Falle in Şengal ist Barzanî verantwortlich. Er hat uns verkauft, die PKK hat uns gerettet. Aus diesem Grund ist klar, wer Freund und wer Feind ist.“
„Wir gehören niemandem“
Necîde Dexîl, eine Kurdin in Şengal, weist darauf hin, dass die Region erneut ins Visier geraten ist, als die Menschen gerade in der Lage waren, sich selbst zu regieren. Zu dem Abkommen zwischen PDK und Bagdad sagt sie: „Wir akzeptieren es nicht. Wir gehören niemandem. Sie sollen davon absehen, uns zu verkaufen. Durch die Flugzeuge über unseren Köpfen sollen wir zum Gehorsam gezwungen werden. Wir werden zu den Waffen greifen und Şengal bis zum letzten Blutstropfen verteidigen. Ich höre immer noch die Schreie der Frauen und Kinder während der IS-Zeit.“
Necîde Dexîl erzählt, dass am Abend ein Fackelmarsch stattgefunden hat und heute wieder Flugzeuge die Region überfliegen: „Sie können tun, was sie wollen, wir lassen uns nicht einschüchtern. Sollen sie Tag und Nacht über unseren Köpfen fliegen, wir werden uns nicht beugen und Widerstand leisten.“
„Auch dieser Verrat wird nicht zu unserer Vernichtung führen“
Pîr Şemo verurteilt das Vorgehen der PDK und sagt: „Wir sind Eziden. Wir wollen weder gegen andere Nationen noch gegen unser eigenes Volk kämpfen. Es soll unter Geschwistern kein Blut mehr vergossen werden. Wir haben auch niemanden angefleht, uns zu beschützen. Es war die Peschmerga, die gesagt hat, dass sie uns gegen den IS verteidigen wird. Dann haben sie uns bei dem Massaker allein gelassen und sind geflohen. Sie haben uns nicht einmal Waffen zurückgelassen, damit wir uns selbst verteidigen können. Jetzt, Jahre später, haben die Eziden sich neu geordnet und werden an die Türken verkauft. Wir haben so viele Massaker erlebt, aber wir sind trotzdem nicht ausgelöscht worden. Auch dieser Verrat jetzt wird nicht zu unserer Vernichtung führen.“
Şemo unterstreicht, dass hinter den Angriffen die PDK, die irakische Regierung und die Türkei stecken: „Sie haben keine Gottesfurcht. Die Länder, die angeblich für Menschenrechte eintreten, halten jede Bestrafung für angemessen, wenn es um uns geht. Wenn wir unsere Rechte einfordern, werden wir noch mehr angegriffen. Wir haben nichts mehr zu verlieren. Wir haben unsere Häuser, unseren Boden, unsere Kinder, unsere Frauen verloren. Wovor sollten wir uns jetzt noch fürchten? Bei uns gibt es Hunderte Menschen wie Zerdeşt und Êgid, nur ihnen vertrauen wir. Ich appelliere an das ezidische Volk: Niemand soll auf die gegen uns gerichteten Intrigen hereinfallen. Ein Blutvergießen unter Geschwistern darf nicht zugelassen werden. Wir müssen als Kurden eine Einheit bilden und die bekämpfen, die uns verkaufen. Wir müssen unser Land schützen.“
„Die PDK kann uns nicht vertreten“
Xelef Qasim weist darauf hin, dass die PDK im Namen der Eziden mit der irakischen Regierung verhandelt hat: „Wir betrachten die PDK jedoch nicht als unsere Vertreterin. Die Eziden sind auf keiner Seite. Wir sind auf der Seite des Rechts. Und wir sind auf niemanden mehr angewiesen. Wir wollen nicht, dass die PDK und die irakische Regierung uns schützen. Wir werden uns gegen jeden Angriff auf uns zur Wehr setzen.“