Seit dem Beginn des internationalen Komplotts, das zur Inhaftierung des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan am 15. Februar 1999 und seiner totalen Isolation auf der Gefängnisinsel Imrali führte, sind 25 Jahre vergangen. In dieser Zeit gab es vielfältige Initiativen von Imrali zur Lösung der kurdischen Frage. Die AKP hat jedoch immer wieder den Frieden verhindert. Mit dem Ende der Friedensprozesse wurden die Isolationsbedingungen, unter denen Abdullah Öcalan festgehalten wurde, verschärft. Seit mehr als 30 Monaten gibt es kein Lebenszeichen mehr von ihm. Das hat auch zu einem massiven Umbau der Gesellschaft geführt. Isolation ist Herrschaftstechnik geworden. Die HEDEP-Abgeordnete Özgül Saki bewertete diese Situation im ANF-Gespräch.
„Die Isolation ist die Achillesferse des AKP/MHP-Regimes“
Die Abgeordnete charakterisiert das Regime: „Wir haben es mit einem Regime zu tun, das mit der Isolation auf Imrali begann und versucht, diese Isolation als Herrschaftstechnik auf alle gesellschaftlichen Bereiche auszudehnen. Das AKP/MHP-Regime institutionalisiert sich in diesem neuen System und wird praktisch deckungsgleich mit dem Staat. Es hat sich in allen Institutionen des Staates festgesetzt, insbesondere in den Vollzugsbehörden und bei den Sicherheitskräften. Welche Maßnahmen können wir also im Kampf gegen Isolation und Abschottung ergreifen? Gibt es die Möglichkeit eines gemeinsamen Kampfes? Welche Werkzeuge stehen uns dafür zur Verfügung? Über die Antworten auf diese Fragen sollte viel mehr diskutiert werden.“
Laut Saki ist die Frage der Isolation der empfindlichste Punkt des AKP/MHP-Regimes. „Alles, was die Isolation thematisiert, wird sofort von Justiz und Strafverfolgungsbehörden ins Visier genommen. Wir können zum Beispiel an Merdan Yanardağ erinnern. Die ganze Welt weiß, dass seine politische Einstellung nichts mit der politischen Einstellung der kurdischen Freiheitsbewegung oder der politischen Haltung von Abdullah Öcalan zu tun hat. Trotzdem wurde er inhaftiert, weil er betonte, dass die Isolation auf Imrali keine völkerrechtliche Grundlage hat und beendet werden muss. Daher möchte ich betonen, dass diese Isolation nicht nur Imrali betrifft, sondern Auswirkungen auf das gesamte gesellschaftliche Gefüge hat.“
„Wir müssen die Mittel des kollektiven Kampfes diskutieren“
Die Abgeordnet erinnerte daran, dass es weltweit ähnliche Beispiele gibt. Sie unterstrich die Notwendigkeit, über die Möglichkeiten eines kollektiven Kampfes zu sprechen: „Wir müssen die historischen und sozialen Entwicklungen berücksichtigen. Obwohl die Isolation fast 24 Jahre dauert, endete weder der politische Kampf der kurdischen Freiheitsbewegung noch der politische Kampf der revolutionären, sozialistischen und feministischen Bewegungen. Sie werden fortgesetzt, und im Einklang mit diesen politischen Zielen wird der Traum von einem freien und gerechten Leben für alle Völker, ein Leben ohne Unterdrückung, weiterverfolgt. Daher sollten wir uns von Orten inspirieren lassen, an denen der Kampf unter den heutigen Bedingungen fortgesetzt wird wie in Lateinamerika. Bei den letzten Wahlen in Kolumbien wurde beispielsweise ein ehemaliger FARC-Guerillero zum Präsidenten gewählt. Derzeit gibt es in Kolumbien Bemühungen um den Wiederaufbau der Gesellschaft und Friedensverhandlungen. Friedensgespräche mit der FARC wurden bereits unterzeichnet. Der neue Präsident sagt nun, dass es möglich ist, den Frieden gemeinsam mit anderen bewaffneten Gruppen aufzubauen. Wie hat sich das in Kolumbien entwickelt? Vielleicht können uns solche Beispiele inspirieren. Im vorherigen Friedensprozess gab es eine Plattform namens ‚Frauen für den Frieden‘. Ich kann darüber sprechen, weil ich dort viel Zeit verbracht habe. In Kolumbien war dieser Prozess geprägt vom Kampf der indigenen Völker, der Arbeiter:innen insgesamt, der Landarbeiter:innen und der Frauenbewegung. Die internationale Solidarität, insbesondere in Lateinamerika, ist nicht auf Kolumbien beschränkt. In Mexiko und Brasilien sind linke Regierungen an die Macht gekommen, eine nach der anderen. Dies wirkt sich einheitlich auf alle anderen Länder aus. Um ähnliche Entwicklungen in unserer Region zu fördern, müssen wir zunächst die Möglichkeiten und Mittel des kollektiven Kampfes innerhalb unserer Grenzen diskutieren.“
„Die Isolierten müssen zusammenkommen“
Saki entwarf abschließend eine konkrete Perspektive für die sozialen Kämpfe in der Türkei und Nordkurdistan: „Nachdem der Staat den Friedensprozess beendet und alle seine Institutionen mobilisiert hat, um eine militärische Lösung durchzusetzen, hat sich die gesamte gesellschaftliche Opposition und die revolutionäre Bewegung in der Türkei nach innen gekehrt. Dadurch hat sich die Beziehung zum kurdischen Freiheitskampf verschlechtert. Diese Beziehungen sollten nicht nur während Wahlkämpfen bestehen. Frauen sind ebenfalls von der Gesellschaft isoliert. Die Gesetze in der neuen Verfassung stellen eine Isolation des weiblichen Geschlechts dar. Das AKP/MHP-Regime isoliert jeden, den sie nicht akzeptieren wollen. Der Widerstand der Arbeiter:innen hat jedoch zugenommen. Wenn wir beispielsweise die Kämpfe von Agrobay, Trendyol oder Sputnik betrachten, sehen wir, dass versucht wird, die Beziehungen zwischen dem Widerstand und den Medien vollständig zu unterbrechen. Dies zeigt sich auch bei den Samstagsmüttern. Es ist eine weitere Form der Isolation, bei der versucht wird, ihre Stimmen zum Schweigen zu bringen und jede Kommunikation zu unterbinden. Dies zu durchbrechen wird nur durch den kollektiven Kampf jedes Einzelnen von uns in allen politischen Bereichen möglich sein.
„Am Beispiel von Giordano Bruno und Camille Claudel“
Es gibt auch Beispiele für Selbstvertrauen. Nehmen wir beispielsweise Giordano Bruno, der Theorien über das heliozentrische Weltbild aufstellte, noch bevor Galileo Galilei dies bestätigte. Auch er wurde verbrannt, aber dennoch hat Galilei seine Arbeit fortgesetzt und ist heute weltbekannt. Denken wir an Camille Claudel (19. Jahrhundert, Frankreich), eine Bildhauerin, die 40 Jahre ihres Lebens in einer Nervenheilanstalt verbrachte, weil ihre Kunst kreativ und rebellisch war. Trotzdem inspiriert ihr rebellischer Geist heute viele Menschen. Diese Beispiele aus der Geschichte zeigen, dass spezifische historische und soziale Situationen dazu führen können, dass Widerstand und Ideale Bestand haben. Unsere aktuelle Verantwortung liegt darin, diesen historischen und sozialen Moment in einen gemeinsamen Kampf für unterdrückte Menschen, kämpfende Völker und Frauen zu verwandeln. Wir müssen uns gemeinsam gegen ein Regime stellen, das den Faschismus institutionalisiert und sein Herrschaft immer weiter ausbaut. Der Schock nach den Wahlen ist überwunden, und ich denke, dass wir nun diesen Weg einschlagen werden.“