Fokus auf die kurdischen Gebiete
Am Sonntag finden in der Türkei Kommunalwahlen statt. Gewählt werden in allen 81 Provinzen des Landes die Oberbürgermeister:innen und Bezirksbürgermeister:innen sowie die Stadt- und Provinzräte. Während viele internationale Beobachter:innen gespannt auf die Wahlausgänge in Istanbul und Ankara blicken, wird Civaka Azad (Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V.) am Wahltag insbesondere einen Blick auf die kurdischen Provinzen im Osten und Südosten des Landes werfen.
Die Mitarbeiter:innen von Civaka Azad werden in einem Liveblog während des gesamten Wahltages über aktuelle Entwicklungen, besondere Vorkommnisse und mögliche Unregelmäßigkeiten berichtet. Hierfür steht das kurdische Zentrum mit Sitz in Berlin ebenso im Austausch mit Politiker:innen und Journalist:innen vor Ort wie auch mit einer internationalen Wahlbeobachtungsdelegation, die einem Aufruf der DEM-Partei gefolgt ist.
Wahlen von besonderer Relevanz
Die Wahlen in den kurdischen Gebieten sind laut Civaka Azad aus mehreren Gründen von besonderer Relevanz:
· So geht der türkische Staat unter Führung des AKP-Regimes seit dem Jahr 2015 massiv gegen die Kurd:innen innerhalb und außerhalb seiner Staatsgrenzen vor. Während sich dieses Vorgehen außerhalb der Staatsgrenzen vor allem durch völkerrechtswidrige Kriegshandlungen ausdrückt, sind die Kurd:innen innerhalb der Türkei massiven Repressionen ausgesetzt. Auch die Nachfolgepartei der HDP, die DEM-Partei, war im Vorfeld der Wahlen von Massenverhaftungen betroffen. Von freien und gleichen Wahlen kann unter diesen Bedingungen kaum die Rede sein.
· Die DEM-Partei wirft der AKP-Regierung Manipulationen im Vorfeld der Wahlen vor. So seien im Vorfeld der Kommunalwahlen in der Türkei rund 54.000 Wähler, vor allem Soldaten und Polizisten, in den kurdischen Gebieten registriert worden. Die Partei DEM spricht von einer gesteuerten Manipulation zugunsten der AKP.
· Viele Beobachter:innen sind gespannt, ob sich die DEM-Partei trotz der antidemokratischen Bedingungen in den kurdischen Siedlungsgebieten gegen die AKP behaupten wird. Offen bleibt auch die Frage, ob das AKP-Regime nach den Wahlen die gewählten Bürgermeister:innen in den kurdischen Provinzen wieder absetzen lässt, um sie durch Zwangsverwalter zu ersetzen.
Kurdische Gemeinden seit 2016 unter Zwangsverwaltung
Die DEM-Partei tritt für eine Dezentralisierung des politischen Regierungssystems und die Berücksichtigung regionaler Besonderheiten ein. In die Kommunalwahl geht die Partei mit der Forderung, die kurdische Frage zu lösen und die allgemeine Demokratiefrage der Türkei zurück auf die Tagesordnung zu bringen. Ein entsprechendes Strategiepapier wurde im Dezember veröffentlicht. Die Gemeinden, in denen 2019 die HDP als Wahlsiegerin hervorging, stehen fast vollständig unter staatlicher Zwangsverwaltung. Seit 2016 werden die gewählten Ko-Bürgermeister:innen festgenommen und vom türkischen Innenministerium durch staatliche Treuhänder ersetzt. Ein prominentes Beispiel ist Gültan Kışanak, die vor ihrer Verhaftung im Herbst 2016 Ko-Bürgermeisterin von Amed (tr. Diyarbakir) war. Die Journalistin und ehemalige Parlamentsabgeordnete wurde 2014 mit 55,1 Prozent der Stimmen als erste Frau zur Oberbürgermeisterin von Amed gewählt. Am Sonntag tritt die kurdische Politikerin für die DEM-Partei zusammen mit dem Menschenrechtsanwalt Öztürk Türkdoğan zur Oberbürgermeisterwahl in Ankara an. Weil sie weiterhin als politische Geisel im Gefängnis festgehalten wird, wurde ihr Wahlkampf vom DEM-Frauenrat und solidarischen Feministinnen geführt.