Bericht: Über 2.900 HDP/DBP-Mitglieder seit Jahresbeginn festgenommen

2023 wurden nach einem Bericht der DEM-Partei über 2.900 aktive Mitglieder der demokratischen Opposition festgenommen, 319 landeten im Gefängnis. Seit dem Auftakt der praktischen Umsetzung des Zersetzungsplans gab es fast 23.000 Festnahmen.

Der 24. Juli 2015 ist ein wichtiges Datum in Kurdistan. Denn dieser Tag markiert das Ende der Gespräche über eine Lösung der kurdischen Frage und den Auftakt der praktischen Umsetzung des „Zersetzungsplans“ der türkischen AKP-Herrschaft. Bei diesem Plan mit der türkischen Bezeichnung „Çöktürme Planı“ – sinngemäß: „In die Knie zwingen“ – der bereits 2014 und damit noch während des Dialogprozesses zwischen Ankara und Abdullah Öcalan hervorgebracht wurde, handelt es sich um ein militärisches und politisches Vernichtungskonzept des türkischen Staates gegen die kurdische Bevölkerung.

Im Mittelpunkt der Angriffe: Parteien in der Tradition der Urpartei HEP 

Mit der einseitigen Aufkündigung der sogenannten Imrali-Gespräche durch Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan begann nicht nur wieder der totale Krieg gegen Kurdistan und die kurdische Befreiungsbewegung, sondern auch ein beispielloser politischer Vernichtungsfeldzug gegen die demokratische Opposition. Die HDP und DBP sowie ihre Vorgänger und Nachfolger – Parteien, die in der Tradition ihrer Urpartei HEP stehen, standen im Mittelpunkt dieser Angriffe.

Öztürk Türkdoğan (l.) und Nuray Özdoğan

Als besonders wirksame Waffe gegen die demokratische Opposition setzte der türkische Staat die Politik der Zwangsverwaltung ein. Schon nach dem Pseudoputsch im Juli 2016 war auf die Methode zurückgegriffen worden, gewählte Bürgermeisterinnen und Bürgermeister abzusetzen, sie zu verhaften und durch staatliche Treuhänder zu ersetzen, um die demokratische Opposition zu schwächen und letztlich auch die kommunale Selbstverwaltung zu zerschlagen. Diese Politik der Okkupierung des politischen Willens der Bevölkerung, die traditionell von Festnahmen und Inhaftierungen der Basis begleitet wird, setzte sich auch nach der Kommunalwahl am 31. März 2019 fort.

Gewaltenteilung de facto aufgehoben

In diesem Jahr lief die Erdoğan‘sche Repressionsmaschine gegen die demokratischen Kräfte des Landes sogar auf Hochtouren. Das geht aus einem aktuellen Bericht hervor, den der Ausschuss der DEM-Partei für Recht und Menschenrechte am Montag in Ankara vorstellte. Die Auswertung fasst die Rechtsverletzungen an aktiven Mitgliedern der Oppositionsparteien unter dem Dach der HDP seit 2015 zusammen – und zeichnet ein eindeutiges Bild. Vor allem die extreme Intensität der „Antiterroroperationen“, wie Ankara sein Vorgehen gegen die demokratische Politik deklariert, sticht ins Auge. Praktisch täglich fanden Razzien und Festnahmen statt, die Gewaltenteilung wurde von der AKP/MHP-Allianz de facto aufgehoben.

Zahl der Festnahmen seit 2015: 22.818

Mindestens 2.906 Mitglieder der Parteien HDP, DBP, YSP und DEM wurden 2023 festgenommen (Stand 10. Dezember), gegen 319 von ihnen erging Haftbefehl. Nach Angaben von Nuray Özdoğan und Öztürk Türkdoğan, den Ko-Sprecher:innen des menschenrechtlichen Ausschusses der DEM-Partei, befanden sich unter den Festgenommenen einfache Mitglieder, Lokalpolitikerinnen und -politiker auf Kreis- und Provinzebene sowie Verantwortliche der Parteiräte und zentralen Exekutivausschüsse. Die Zahl der seit Juli 2015 erfassten Festnahmen in den Reihen der demokratischen Opposition habe sich damit auf mindestens 22.818 erhöht. Im Gefängnis landeten mindestens 4.334 Mitglieder, darunter etliche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, Parlamentsabgeordnete und frühere Parteivorsitzende.

Bombenanschläge forderten 142 Todesopfer und fast tausend Verletzte

 Allein die Zahl der in den letzten acht Jahren verhafteten Ko-Vorsitzenden der Kreis- und Provinzverbände beläuft sich auf 306. Im gleichen Zeitraum wurden 24 Abgeordnete und 30 Mitglieder der zentralen Exekutivräte der demokratischen Opposition inhaftiert. Laut dem Bericht der DEM befinden sich sieben frühere Parlamentsabgeordnete und vierzehn Mitglieder der Parteivorstände auch weiterhin hinter Gittern – zusammen mit 44 abgesetzten Bürgermeister:innen. Beim Putsch gegen die Kommunalpolitik 2016 hatte die türkische Führung 93 Stadtoberhäupter verhaften lassen, 2019 waren es 43.

Gewaltsame Übergriffe

Auch die Zahl der körperlichen Übergriffe auf Mitglieder und Handelnde der demokratischen Opposition ist dramatisch. Laut Türkdoğan geht seine Partei von 336 gewaltsamen Angriffen aus, die zwischen 2015 und 2023 stattgefunden haben. „Bei diesen Attacken wurden zwei unserer Mitglieder getötet und weitere 76 verletzt. Darüber hinaus sind mehrere Bombenanschläge gegen die HDP und ihre Schwesterparteien verübt worden. Diese forderten 142 Todesopfer und fast tausend Verletzte“, sagte Türkdoğan.

Der Widerstand für unsere Ideale geht unvermindert weiter

Der renommierte Rechtsanwalt, der auch stellvertretender Ko-Vorsitzender der DEM-Partei ist, betonte, dass der Zersetzungsplan gegen die kurdische Gesellschaft bis heute Bestand habe. Zu diesem Plan gehörte auch, dass Hochburgen der demokratischen Opposition wie etwa Sûr, die Altstadt von Amed (tr. Diyarbakır), oder die Städte Nisêbîn (Nusaybin) und Cizîr (Cizre), während der 2015 erteilten Ausgangssperren und der darauffolgenden monatelangen Militärbelagerung dem Erdboden gleichgemacht wurden. „Dem düsteren Anblick dieser Bilanz zum Trotz: Wir lassen uns nicht einschüchtern“, betonte Nuray Özdoğan. Der Widerstand für die Ideale ihrer Partei; Pluralismus, Toleranz, absolute Geschlechtergleichheit, Dezentralisierung, direkte und partizipative Demokratie, Frieden, Bürgerrechte und soziale Gerechtigkeit, werde ungebrochen weitergehen.