Amed: Gedenken an Opfer des Attentats vom 5. Juni

In Amed ist der Opfer des Anschlags am 5. Juni 2015 gedacht worden. Kurz vor der Parlamentswahl verübte ein Dschihadist einer polizeibekannten IS-Zelle ein Attentat auf eine Kundgebung der HDP. Fünf Menschen starben, hunderte weitere wurden verletzt.

In Amed ist der Opfer des Anschlags vom 5. Juni 2015 gedacht worden. An der von der HDP ausgerichteten Gedenkveranstaltung am Tatort, dem Bahnhofsviertel im zentralen Stadtteil Bajarê Nû (tr. Yenişehir), nahmen Mitglieder der Provinz- und Kreisverbände, Aktivist:innen der Zivilgesellschaft sowie Angehörige der Opfer des Anschlags vor sechs Jahren teil.

Am 5. Juni 2015, nur zwei Tage vor den Parlamentswahlen in der Türkei, explodierte auf dem Bahnhofsplatz Istasyon inmitten einer Großkundgebung der HDP eine Bombe eines Attentäters einer polizeibekannten Zelle der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS). Die Kundgebung hatte genau wie der Wahlkampf der HDP unter dem Motto „Für die große Menschheit“ gestanden – eine Maxime, die die Vielfalt der Gesellschaft der Türkei reflektiert. Fünf Menschen – Ramazan Yıldız, Necati Kurul, Şehmuz Kaçan, Civan Arslan und Ali Türkmen starben bei dem Sprengstoffanschlag, hunderte weitere wurden verletzt, sechzehn von ihnen schwer. Die kurdische Bühnenbildnerin und Filmemacherin Lisa Çalan etwa verlor bei dem Attentat beide Beine.

Blumen für die Toten

Wegen Desertion gesuchter Attentäter vor Anschlag von Polizei kontrolliert

Der Attentäter Orhan Gönder gehörte der „Dokumacı-Gruppe“ an. Die Zelle verübte verschiedene Anschläge in der Türkei. Zwar wurden mehrere Mitglieder in der Folge verhaftet und zu Haftstrafen verurteilt – die eigentlichen Drahtzieher in Syrien sowie die Polizisten und Militärs die es zwei Tage vor dem Anschlag unterließen, den wegen Desertion gesuchten Attentäter festzunehmen und es mit einer Personalienkontrolle in seinem Hotel beließen, kamen ungeschoren davon. Mit Burhan Gök, der zusammen mit dem belgischen Dschihadisten Ibrahim El Bakraoui an der syrisch-türkischen Grenze festgenommen worden war, wurde ein wichtiger Angehöriger der Dokumacı-Zelle und Verdächtiger beim späteren Prozess „aus Mangel an Beweisen“ freigesprochen. El Bakraoui schoben die türkischen Behörden nach ein paar Wochen in Gewahrsam nach Belgien ab. Dort sprengte er sich im März 2016 in der Abflughalle des Flughafens Brüssel-Zaventem in die Luft. 

Ceylan: Kampf um Gerechtigkeit geht weiter

„Mit Blick auf die fehlende juristische Aufarbeitung des Anschlags und die Weigerung, den Opfern Gerechtigkeit zu gewähren, bleibt uns nichts anderes übrig, als den Hinterbliebenen Geduld zu wünschen“, sagte Zeyat Ceylan, Ko-Vorsitzender der HDP-Amed, in einer Ansprache bei dem Gedenken. Die Bevölkerung solle aber wissen, dass der „Kampf um Gerechtigkeit“ für die Toten und ihre Hinterbliebenen fortgesetzt werde. „Wir kämpfen so lange, bis alle Verantwortlichen dieser Tat von der Justiz bestraft werden und Sühne leisten. Vorher geben wir unseren Widerstand nicht auf. Auch von unserem Beharren auf Frieden und Demokratie werden wir nicht absehen“, fuhr Ceylan fort. Nach der Rede des Politikers versammelten sich viele Menschen an der Bahnhofsmauer und legten Nelken für die Toten nieder.

Zeyat Ceylan (im grauen T-Shirt) während seiner Rede

Anschlag von Amed war nur der Anfang

Der Anschlag in Amed markierte nur den Beginn einer dunklen Zeitepoche der Türkei, die bis heute andauert. Nur wenige Wochen später, am 20. Juli 2015, verübte ein weiteres Mitglied der IS-Zelle Dokumacılar einen Selbstmordanschlag in der Stadt Pirsûs (Suruç), als sich auf Aufruf der Föderation Sozialistischer Jugendvereine (SGDF) 300 junge Menschen im Kulturzentrum Amara versammelten, um vor ihrer Abreise nach Kobanê eine Pressekonferenz abzuhalten. Die geplante Fahrt nach Rojava sollte ein Akt der Solidarität sein. Die Jugendlichen wollten Kinderspielzeug und humanitäre Hilfsgüter in die vom IS zerstörte Stadt bringen. 33 junge Menschen wurden getötet, 104 weitere verletzt.

Am 10. Oktober 2015 kamen weitere 103 Menschen bei einem Anschlag auf eine Friedenskundgebung in der türkischen Hauptstadt Ankara ums Leben, über 500 wurden teilweise schwer verletzt. Zu der Kundgebung hatte die HDP gemeinsam mit dem linken Gewerkschaftsbund KESK unter dem Motto „Arbeit, Frieden, Demokratie“ aufgerufen. Es handelt sich um den schwersten Terroranschlag in der Geschichte der Türkei und fand zu einer Zeit statt, in der Recep Tayyip Erdoğan sein Ein-Mann-Regime aufbaute. Nach dem Erfolg der HDP bei den Wahlen nur wenige Monate zuvor hatte die Regierung die Friedensverhandlungen mit der PKK einseitig abgebrochen und den Krieg gegen die kurdische Zivilbevölkerung wieder aufgenommen. Die Teilnehmenden der Friedenskundgebung forderten das Ende der Angriffe des türkischen Militärs. Der IS-Attentäter, der viele von ihnen in den Tod riss, gehörte ebenfalls der polizeibekannten IS-Zelle an.