In der Nacht auf den 4. November 2016 wurden die damaligen HDP-Vorsitzenden Figen Yüksekdağ und Selahattin Demirtaş in der Türkei festgenommen. Die Inhaftierung unter dem Vorwurf der „Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation“ erfolgte auf direkte Anordnung vom damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan, der in der genderparitätischen Doppelspitze der HDP seine Todfeinde sah. Auch weitere Abgeordnete der Partei, die damals als einzige in der für Pluralismus, Toleranz, absolute Geschlechtergleichheit, Dezentralisierung, direkte und partizipative Demokratie, Frieden, Bürgerrechte und soziale Gerechtigkeit stand und kämpfte, waren damals verhaftet worden. Mit den Massenfestnahmen am 4. November 2016 begann eine bis heute andauernde Phase der Repression, mit der die demokratische Opposition in der Türkei handlungsunfähig gemacht werden sollte. Die HDP spricht in diesem Zusammenhang von einem politischen Putsch.
Diesem Putsch vorangegangen war zunächst eine Rede von Demirtaş im März 2015. Vor der HDP-Fraktion im türkischen Parlament trat er Gerüchten entgegen, seine Partei sei bereit, dem von Erdoğan angestrebten Umbau der Republik zum Präsidialsystem und seiner Wahl zum Staatspräsidenten im Gegenzug für mehr kulturelle Rechte für die Kurdinnen und Kurden zuzustimmen. „Dreckige Kooperationen haben nie stattgefunden, werden auch nie stattfinden“, erklärte Demirtaş und beendete seine Rede mit der klaren Ansage: „Recep Tayyip Erdoğan, solange die HDP in diesem Land existiert, wirst du kein Präsident sein.“ Kurz darauf erklärte der AKP-Chef die weitreichenden Abmachungen für eine politische Lösung der kurdischen Frage, die unter Vermittlung der HDP zwischen dem inhaftierten Begründer der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, und dem türkischen Staat getroffen worden waren, für null und nichtig.
Als es der HDP bei den Parlamentswahlen im Juni 2015 dann noch gelang, mit dreizehn Prozent als erste linksgerichtete Partei in der Türkei, die Minderheitenrechte für alle Bevölkerungsgruppen, insbesondere die der kurdischen Minderheit, befürwortet, über die Zehn-Prozent-Hürde kam und damit die AKP um ihre absolute Mehrheit brachte, beendete Erdoğan den Dialog mit Öcalan offiziell. Was folgte, waren Bombenanschläge von IS-Zellen, die von Ankara unterstützt wurden, vorgezogene Wahlen, der Startschuss des Repressionsschlags gegen die HDP – zusammengefasst: die praktische Umsetzung des 2014 noch während des Friedensprozesses hervorgebrachten „Zersetzungsplans“ („Çöktürme Planı“, sinngemäß: „In die Knie zwingen“).
Beim Zersetzungsplan handelt es sich um ein militärisches und politisches Vernichtungskonzept gegen die kurdische Gesellschaft, das bis heute Bestand hat. Dazu gehört auch, dass Hochburgen der HDP wie etwa Sûr, die Altstadt von Amed (tr. Diyarbakır), oder die Städte Nisêbîn (Nusaybin) und Cizîr (Cizre), während einer monatelangen Militärbelagerung dem Erdboden gleichgemacht wurden, von der HDP gestellte Bürgermeisterinnen und Bürgermeister abgesetzt, verhaftet und durch Zwangsverwalter ersetzt wurden und der Krieg gegen die PKK-Guerilla und damit auch die Besatzung Südkurdistans verschärft wurde. Teil dieses Plans ist auch der bis heute andauernde Krieg gegen Rojava beziehungsweise die Autonomieregion Nord- und Ostsyriens.
Im Windschatten des Zersetzungsplans wurde das totalitäre Herrschaftssystem in der Türkei als „Ein-Mann-System“ Schritt für Schritt weiter ausgebaut. Seit 2016 sind über 20.000 Mitglieder der HDP festgenommen worden, rund die Hälfte landete im Gefängnis. Die beiden Ko-Vorsitzenden der HEDEP – eine in der Tradition der HDP stehende politische Partei, die bis vor kurzem noch YSP (Grüne Linkspartei) hieß – Tülay Hatimoğulları und Tuncer Bakırhan, sprachen heute in Ankara anlässlich des siebten Jahrestags der Festnahme von Yüksekdağ und Demirtaş von einem „Putschmechanismus“, der seit dem 4. November 2016 alle Bereiche des Lebens erfasst habe.
„Ob Werktätige, Frauen, die Jugend, Studierende oder Medienschaffende: jede Person, die atmen will, wurde in den vergangenen sieben Jahren zur Zielscheibe der politischen Machtelite“, betonte Hatimoğulları. „Der politische Vernichtungsfeldzug nimmt alle Gesellschaftsgruppen ins Visier“, ergänzte Ko-Chef Bakırhan und warf der türkischen Justiz vor, einen Krieg gegen demokratische Politik zu führen und sich damit eines Umsturzversuchs schuldig zu machen, der sich gegen den Willen des Volkes richte. „Trotz der allgegenwärtigen Repression haben es sich die Menschen in den vergangenen sieben Jahren nicht nehmen lassen, Widerstand zu leisten: Widerstand von den Gefängnissen bis zu den Straßen – für das Recht auf die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit, für das Recht der politischen Teilhabe, für Demokratie und Frieden. Unsere Pflicht und Verantwortung ist es, diesem Widerstand würdig zu sein, die demokratische Politik zu verteidigen und dafür zu kämpfen, dass unsere inhaftierten Freundinnen und Freunde freikommen.“