Auf einer Pressekonferenz in Ankara nahmen Pervin Buldan und Sezai Temelli als Ko-Vorsitzende der Demokratischen Partei der Völker (HDP) Stellung zum zweiten Jahrestag der bislang umfassendsten Festnahmewelle gegen Abgeordnete ihrer Partei. Am 4. November 2016 waren neben zahlreichen weiteren HDP-Abgeordneten auch die beiden damaligen Ko-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ festgenommen worden.
Pervin Buldan bezeichnete auf der Pressekonferenz die Verhaftungswelle vom 4. November als eine Fortsetzung des Putschversuchs in der Türkei vom 15. Juli 2016. Zugleich handele es sich um eine Operation, die aus dem Präsidentenpalast gesteuert wurde und sich direkt gegen die Bevölkerung richtete, so Pervin Buldan: „Am 2. März 1994 hat die kurdische Bevölkerung den Putsch gegen die DEP (Demokratie Partei) miterlebt. Diejenigen, die damals im Namen des Nationalen Sicherheitsrates für diesen Putsch verantwortlich waren, haben auch den Putsch vom 4. November aus dem Präsidentenpalast heraus veranlasst. Wir wollen in aller Deutlichkeit sagen, dass es sich bei diesem Putsch um eine Operation auf Befehl der AKP handelte."
Hoffnungsträger festgenommen
Die HDP-Vorsitzende machte weiterhin auf die Bedeutung der festgenommenen Abgeordneten in der Bevölkerung aufmerksam: „Insbesondere Selahattin Demirtaş war ein Vorreiter, der Hoffnung unter den Völkern verbreitete. Er trat zweimal als Präsidentschaftskandidat an und war ein Hoffnungsträger für die Menschen. Um diese Hoffnung zu brechen, wird er seit zwei Jahren als Geisel gehalten. Figen Yüksekdağ galt als Hoffnungsträgerin im Frauenwiderstand und auch sie wird seit zwei Jahren als Geisel festgehalten. Idris Baluken war ein mutiger Verteidiger des demokratischen Friedens- und Verhandlungsprozesses. Aus diesem Grund wird er als Geisel gehalten. Gültan Kışanak hat die Gräueltaten des Militärputsches vom 12. September 1980 durch ihren Widerstand überlebt. Ihr Einsatz in der kommunalen Selbstverwaltung hat den Frauen und den Völkern Hoffnung gegeben. Aus diesem Grund wird sie als Geisel gehalten. Auch für Sebahat Tuncel, Selma Irmak, Çağlar Demirel, Gülser Yıldırım, Burcu Çelik, Aysel Tuğluk, Bekir Kaya, Tuncer Bakırhan, Edibe Şahin, Nurhayat Altun, Ferhat Encü und Abdullah Zeydan gilt ähnliches. Diese Menschen haben sich allesamt dem Kampf unseres Volkes verschrieben."
Buldan ergänzte, dass die Festnahmewelle gegen die HDP auch ein offensichtlicher Ausdruck der Nervosität und der Angst der regierenden AKP vor der Partei der Völker darstellt. „Während die Verantwortlichen der Morde in Roboskî, Gezi und Soma frei herumlaufen, befinden sich diejenigen, die demokratische Politik betreiben und sich für die Rechte der Völker einsetzen, in Gefängnissen. Wir rufen dazu auf, diese Politikerinnen und Politiker umgehend freizulassen", so Buldan.
„Ein solches Vorgehen nennt man Faschismus"
Sezai Temelli erklärte, dass die Machthaber in der Türkei darauf abzielen, den Raum für eine demokratische Politik vollständig zu liquidieren: „Um dies zu ermöglichen, müssen sie die HDP aus dem Weg zu schaffen. Und das versuchen sie, aber wir werden es nicht zulassen."
Der HDP-Vorsitzende ergänzte: „Derzeit befinden sich rund 6.000 unserer Freundinnen und Freunde in Haft. 53 unserer Bürgermeisterinnen und Bürgermeister werden in Gefängnissen festgehalten, in 96 unserer Kommunalverwaltungen wurden die rechtmäßigen Bürgermeister abgesetzt und durch Treuhänder ersetzt. Wir müssen das Regime, mit dem wir es hier zu tun haben, und sein Vorgehen richtig benennen. Dieses autoritäre Regime ist faschistisch."
Temelli erklärte, dass schon bald alle, die für Demokratie eintreten, dieser Regierung die richtige Antwort geben werden. Heute müssten alle zu den inhaftierten Abgeordneten stehen und ihren eigenen politischen Willen verteidigen. Sollte diese Entwicklung nicht gestoppt werden können, werde sich das Land in ein großes offenes Gefängnis verwandeln, so Temelli.
Auch die bei den Parlamentswahlen im vergangen Juni gewählte, aber weiterhin inhaftierte HDP-Abgeordnete Leyla Güven müsse umgehend freigelassen werden, forderte Temelli abschließend.