Die Grenze zwischen Syrien und der Türkei erstreckt sich vom Mittelmeer bis hin zum Tigris und ist knapp 900 Kilometer lang – ein gefährliches Gebiet. Denn hier schlummern seit den 1950er Jahren noch mehr als 606.000 Landminen. Damit handelt es sich um eines der größten Minenfelder der Welt. Bis 2014 hätte die Türkei die tödlichen Sprengsätze räumen müssen, dazu hat sich die Regierung mit ihrer Unterschrift unter die Ottawa-Konvention verpflichtet. Dieses Ziel wurde von der Türkei jedoch nicht erreicht, weshalb sie zwei Mal einen Aufschub beantragte. Die Regierung in Ankara plant nun, alle verminten Gebiete bis zum Jahr 2025 zu räumen. Ob die verlängerte Frist diesmal eingehalten wird, ist zu bezweifeln.
Mit dem Beitritt zur Ottawa-Konvention, einem völkerrechtlichen Vertrag über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Antipersonenminen und über deren Vernichtung hat die Türkei schon 2003 die Räumung und Entsorgung aller Minen im Land (damals über drei Millionen) zugesichert. Nach langer Verzögerung wurden die Lagerbestände, die zu einem erheblichen Teil aus den Depots der Bundeswehr stammten, im Jahr 2011 vernichtet. Die Räumungsarbeiten gehen aber nur schleppend voran. Laut der Initiative „Eine Türkei ohne Minen” hat die türkische Regierung noch nicht mal ein Fünftel aller kontaminierten Flächen, die von der deutschen Hilfsorganisation DEMIRA (Deutsche Minenräumer e.V.) auf 214,74 km² geschätzt worden sind, geräumt.
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134 km² an Südgrenze mit Minen verseucht
Allein die Minenfelder an der türkisch-syrischen Grenze erstreckten sich bis 2015 noch über eine Fläche von über 180 km². Seit Teile der Grenze nach Syrien durch die Türkei zusätzlich durch eine Mauer gesichert wurden, hat sich diese Zahl auf knapp 134 km² reduziert. Laut Muteber Öğreten von „Eine Türkei ohne Minen” sind insgesamt 1.294 Orte im türkisch-syrischen Grenzgebiet verseucht – mit 412.000 Antipersonenminen und 194.635 Panzerabwehrminen. Schätzungsweise mehr als 10.000 Menschen sind diese Sprengsätze bereits zum Verhängnis geworden: 3000 kamen in den Minenfeldern ums Leben, 7000 wurden schwer verletzt. Gelegt wurden die ersten Minen in der Mitte der 50er Jahre, um Menschen an der illegalen Überquerung der Grenzen zu hindern. Seit Anfang der 1980er Jahren kamen neue Minenfelder hinzu. Sie sollten die Kämpferinnen und Kämpfer der kurdischen Arbeiterpartei PKK, deren Ausbildungslager sich damals in Syrien befanden, am Grenzübertritt hindern.
Aufschub nicht für Minenräumung, sondern für Programmerstellung
Muteber Öğreten ist Koordinatorin der Initiative „Eine Türkei ohne Minen”, die Mitglied des 1997 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Netzwerks „Internationale Kampagne für das Verbot von Landminen” ist und sich seit Jahren dafür einsetzt, dass die Türkei sich an die Vorgaben der Ottawa-Konvention hält. Die Aktivistin glaubt nicht, dass die Regierung in Ankara bis 2025 alle tödlichen Hinterlassenschaften aus dem Boden holen wird. Der jüngste Aufschub sei ohnehin nicht für die Minenräumung der verseuchten Gebiete vorgesehen, sondern lediglich für die Erstellung eines entsprechenden Programms. „Die Türkei ist gar nicht imstande, ihren Verpflichtungen aus der Ottawa-Konvention nachzukommen”, hält Öğreten fest, da es in erster Linie eine Kostenfrage sei. „Aber aufgrund der Verseuchung mit Minen sind ganze Landstriche unbewohnbar.”
Die fruchtbarsten Böden sind kontaminiert
Die Landminen befinden sich vor allem auf landwirtschaftlichen Flächen, in an Straßen angrenzenden und in zivil genutzten Gebieten. Zur menschlichen Dimension des Landminenproblems in der Türkei komme deshalb auch hinzu, dass die wirtschaftliche und soziale Entwicklung erschwert wird, sagt Öğreten. „Die Minen blockieren die Landwirtschaft und hemmen den Ausbau von Infrastruktur. Die vierte Generation lebt inzwischen am Rande dieser Minenfelder. Allein entlang der Südgrenze reichen sie an vielen Stellen bis zu 700 Meter tief auf das Staatsgebiet – und damit auf die fruchtbarsten Böden“. Öğreten unterstreicht, dass die verseuchten Flächen die Armut der Bevölkerung verstärken. Würden die Minenfelder geräumt, könnten allein in den Städten Hatay, Kilis, Dîlok (tr. Antep), Riha (Urfa), Mêrdîn und Şirnex mindestens 13.300 Hektar landwirtschaftliche Fläche freigegeben. Die Menschen würden wieder Felder pflügen und Kinder wieder gefahrlos spielen. Geflüchtete könnten zurückkehren, sich selbst dank Landwirtschaft ernähren und die Gesellschaft könnte wieder aufblühen. „Das Problem der Arbeitslosigkeit wäre damit in großem Maße gelöst, da auch in anderen Bereichen Arbeitsplätze geschafft werden würden. Aber der Regierung fehlt der Willen“, hält Muteber Öğreten fest – und fährt fort: „Die Regelungen der Ottawa-Konvention sind ebenfalls Gründe, dass die Türkei bisher die Räumungsarbeiten verzögern konnte. Die Regierung stützt sich auf Artikel des völkerrechtlichen Vertrages, um ihn de facto eben nicht einhalten zu müssen. Das kritisieren wir scharf.“
Ostgrenze wird schrittweise geräumt
Entgegen der Südgrenze nach Syrien wird die Ostgrenze zwischen Reşqelas (Iğdır) und Colemêrg (Hakkari) zum Iran schrittweise von Landminen geräumt. Das Ziel eines im vergangenen September von der Europäischen Union (EU) und dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) in Zusammenarbeit mit der türkischen Organisation für Minenräumung (TURMAC) gestarteten Projekts etwa sieht vor, bis Januar 2023 insgesamt 83.000 Landminen entlang der türkischen Ostgrenze aus dem Boden zu holen. Die finanziellen Mittel stellen die EU und die UN bereit. Ankara zahlt keinen Cent.