Gegen Abholzung protestierender Dorfbewohner erschossen
In Borçka bei Artvin wurde auf Menschen geschossen, die die Rodung eines Waldes blockierten. Dabei wurde der Dorfbewohner Reşit Kibar getötet, zwei weitere Personen wurden leicht verletzt.
In Borçka bei Artvin wurde auf Menschen geschossen, die die Rodung eines Waldes blockierten. Dabei wurde der Dorfbewohner Reşit Kibar getötet, zwei weitere Personen wurden leicht verletzt.
Am 3. September drangen Baugeräte der Firma Yapısoy Beton unter dem Vorwand der Errichtung eines „Erholungsgebiet mit Unterbringung“ in das Waldgebiet in der Ortschaft Cankurtaran im Bezirk Borçka bei Artvin ein. Die Dorfbewohner:innen stellten sich der Abholzung des 17 Hektar großen Waldgebiets entgegen und blockierten die Rodung. Muhammet Ustabaş, der für die Firma das Projekt durchführt, erschoss daraufhin den Dorfbewohner Reşit Kibar. Zwei weitere Menschen wurden leicht verletzt.
„Die AKP steht hinter dem Mord“
Kibar wurde am Mittwoch auf dem Dorfplatz von Hopa aufgebahrt. An der Zeremonie nahmen Hunderte Menschen aus den Bezirken Hopa und Borçka sowie den benachbarten Bezirken und Provinzen teil. Es wurden Klagelieder auf Lasisch gesungen und immer wieder Parolen wie „Reşit Kibar ist unsterblich“ und „Die Völker werden die Verbrecher zur Rechenschaft ziehen“ skandiert. In Reden auf der Zeremonie wurde betont, dass man keine Plünderung der Umwelt zulassen und bis zum Ende kämpfen werde. Dursun Ali Koyuncu, einer der Dorfbewohner, sagte: „Als wir gestern nach Cankurtaran hinaufgingen, dachten wir, wir würden auf Fremde treffen. Wir wollten sie von dort vertreiben, aber wir wussten nicht, dass unsere Nachbarn Verrat begehen. Yunus Merttürk, Reşit Merttürk und Bünyamin Merttürk planten dies seit Tagen. Wir gingen zum Gouverneursamt und reichten Petitionen ein, wir erklärten, es gäbe hier soziale Probleme und sie sollten nicht kommen. Sie haben dieses Massaker unter der Regie des AKP-Abgeordneten Faruk Çelik aus Artvin organisiert.“
Kamil Ustabaş, Vertreter der Volkshäuser am Schwarzen Meer, sagte: „Wir werden es nicht zulassen, dass ein einziger unserer Bäume gefällt wird. Wir sind nun viel mutiger, wir haben den Mut von Reşit Kibar übernommen. Diejenigen, die in diese Region kommen, um Bergbau zu betreiben und unsere Natur zu vernichten, sollten Angst haben. Reşit ist in unseren Kämpfen an unserer Seite.“
Polizei war bei Angriff anwesend
Ein Einwohner aus Hopa erklärte: „Es waren zwei Zivilpolizisten am Tatort. Reşit sagte zu den Polizisten, dass geschossen würde. Aber die Polizisten schritten nicht ein. Wer ist für dieses Massaker verantwortlich, die Staatsanwaltschaft? Ist es das Gouverneursamt? Ist es die Regionaldirektion für Forstwirtschaft? Wir werden niemanden nach Çifteköprück lassen. Wir werden das nicht auf sich beruhen lassen, Reşit ist für uns unsterblich. Wir sind alle Reşit. Wir werden alle sterben, wenn es sein muss.“
Nach der Trauerfeier auf dem Hopa-Platz wurde der Leichnam von Reşit Kibar zur Beerdigung ins Dorf Çifteköprü gebracht.
Yapısoy Beton – Teil des regionalen Korruptionsnetzwerkes der AKP
Muhammet Ustabaş von Yapısoy Beton, der den Angriff verübt hatte, wurde inhaftiert. Nach dem Angriff gab Yapısoy Beton bekannt, dass es sich aus dem Projekt zurückgezogen habe. Yunus Merttürk, der Eigentümer des Unternehmens, steht der AKP/MHP-Regime nahe. Offenbar ist die Firma Teil eines regionalen Korruptionsnetzwerkes der Regimepartei. So war der Bruder des ehemaligen Verteidigungsministers Fikri Işık (AKP) ein wichtiger Geschäftspartner von Merttürk. Merttürk wurde offenbar immer wieder bei Ausschreibungen bevorzugt. Er kaufte das Unternehmen Soylular Fertigbeton aus Kocaeli vor zehn Jahren, nachdem dieses Konkurs angemeldet hatte, und änderte den Namen in Yapısoy. Merttürk stammt ursprünglich aus Artvin, lebt in Kocaeli und besitzt neben Yapısoy Beton auch Gülaş Bau, Gülaş Maschinen, Efor Bergbau, einen Baumarkt und ein Restaurant.
Betrieb ohne Genehmigung
Ein Betonwerk von Yapısoy im Industriegebiet von Izmit war Gegenstand eines Skandals. So wurde es offiziell am 23. August 2018 gesperrt, aber jahrelang weiterbetrieben. Erst nachdem am 12. Dezember ein Arbeiter gestorben war, wurde das Werk im Januar offiziell geschlossen.
Auch die zu Merttürk gehörige Bergbaufirma Efor ist in das Korruptionsnetzwerk verwickelt. So konnte die Firma jahrelang in Körfez einen Steinbruch betreiben, ohne Pacht zu zahlen. Der Journalist Faruk Bostan brachte dies an die Öffentlichkeit. Das Verfahren endete mit einer lächerlichen Nachzahlung für das Unternehmen und einem Freispruch. Der Journalist Faruk Bostan wurde in einem fadenscheinig konstruierten Verfahren inhaftiert. Auch wenn es in diesem Verfahren um einen Artikel über ein Netzwerk sexualisierter Gewalttäter, in das auch die AKP verwickelt war, ging, so ist offensichtlich, dass Bostans Inhaftierung wegen „Verleumdung“ eine Racheaktion für seine kritische Arbeit darstellt.
Naherholungsgebiet oder Steinbruch
Auch hinter dem angeblichen Naherholungsgebiet in Borçka, wo sich nun der Angriff ereignete, scheinen andere Interessen zu stehen. Merttürks Bruder Reşit hatte auf dem Gebiet einen Steinbruch eröffnen wollen. Die scheiterte jedoch bereits am Widerstand der Bevölkerung. Der Staat hatte bereits erklärt, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung nicht notwendig sei. Diese Genehmigung musste aber angesichts des massiven Widerstands der Bevölkerung zurückgenommen werden. Dass ein Bauunternehmen auf Protestierende schießen lässt, ist Ausdruck eines Klimas der vollständigen Straflosigkeit.