Ökologie und Befreiung: Veranstaltung von Tatort Kurdistan
Um ökologische Kämpfe, Weltfrauenkonföderalismus, Free the Soil und deCOALonize Europe ging es auf einer Veranstaltung im Tatort Kurdistan Café in Hamburg.
Um ökologische Kämpfe, Weltfrauenkonföderalismus, Free the Soil und deCOALonize Europe ging es auf einer Veranstaltung im Tatort Kurdistan Café in Hamburg.
„Was die Menschen zu ‚Fremden‘ der Natur gegenüber gemacht hat, sind soziale Veränderungen, die viele Menschen zu Fremden in ihrer eigenen sozialen Umgebung werden ließen: die Herrschaft des Alters über die Jugend, der Männer über die Frauen sowie der Männer untereinander. Heute wie vor Jahrhunderten gibt es Menschen – Unterdrücker – die buchstäblich die Gesellschaft besitzen, und andere, von denen Besitz genommen wird. Solange die Gesellschaft nicht von einer vereinten Menschheit zurückerobert wird, die gesamte kollektive Weisheit, ihre kulturellen Errungenschaften, technologischen Innovationen, wissenschaftlichen Erkenntnisse und angeborene Kreativität zu ihrem eigenen Besten und zum Nutzen der natürlichen Welt einsetzt, erwachsen alle ökologischen Probleme aus sozialen Problemen.“
Mit diesem Zitat Murray Bookchins wurde die am Mittwochabend stattgefundene Veranstaltung zu ökologischen Kämpfen des Tatort Kurdistan Cafés eingeleitet.
Selbstversorgung statt Ausbeutung
Zunächst legte eine Referentin die Grundlagen des ökologischen Paradigmas des Weltfrauenkonföderalismus und dessen Umsetzung dar. In der Analyse der kurdischen Bewegung wird klare Kritik am hohen Konsum der Reichen geübt, die – statistisch belegt – einen unverhältnismäßig höheren CO2-Ausstoß verursachen als die Teile der Weltbevölkerung, die im Vergleich geringes bis mittleres Einkommen besitzen. Nicht nur der Anteil an der Veränderung des Weltklimas und dem Zustand der Natur weltweit ist dabei ungleich verteilt – die Folgen werden mit der Verantwortung gleich mitabgegeben und maßgeblich von den Ländern des globalen Südens getragen.
Daher greife das Denken der Ökologiebewegung in Europa zu kurz, wenn sie sich mit einer Erwartungshaltung an den Staat richtet. Um eine Veränderung zu bewirken, müsse das ganze System verändert werden und ein Aufbau von unten stattfinden. Denn das herrschende System funktioniere maßgeblich durch das Leisten unbezahlter Arbeit (Care-Arbeit) – nach wie vor maßgeblich von Frauen verübte Tätigkeiten, die in der Logik der Geldwirtschaft keinen Wert besitzen, es aber am Laufen halten. Die strukturelle Gewalt hinter dieser Logik muss verstanden und mit ihr der Wunsch nach immer mehr Waren und Fortschritt überwunden werden. In der Praxis wird dies in Nord- und Ostsyrien über den Aufbau von Kooperativen umgesetzt. Dabei wird unter der Subsistenz-Perspektive darauf hingearbeitet, das Geld-System zu überwinden, sich selbst zu versorgen und zu tauschen. Energie, Boden und Wasser werden einer Verstaatlichung entzogen und stattdessen kommunal direkt für die Bevölkerung genutzt. All das geschieht nicht ohne das Wissen, das für eine solche Selbstversorgung nötig ist, von einzelnen Personen zu lösen und durch Bildungen und Akademien für alle zugänglich zu machen.
Resistance is fertile – Widerstand ist fruchtbar
Die Kampagne „Free the Soil – Klimagerechtigkeit statt Agrarindustrie“ hat sich zum Ziel gesetzt, die von der Agrarindustrien geschaffene Abhängigkeiten mit ihren verheerenden Praktiken und Auswirkungen aufzuzeigen und darüber zu informieren, welche Rolle die industrielle Landwirtschaft in der sich ständig verschärfenden Klimakrise einnimmt. Über diese wird weiterhin Missinformation gestreut, da in fast allen veröffentlichten Zahlen (zum Beispiel zuletzt die des „Weltklimarats“ IPCC der Vereinten Nationen) nicht alle Emissionen, die durch Landwirtschaft verursacht werden, eingerechnet sind. Ein häufig ignorierter Faktor ist etwa der Transport, häufig verbunden mit ununterbrochenen Kühlketten. Auch die „deutsche Zahl“ eines Sieben-Prozent-Anteils der Landwirtschaft an Deutschlands Treibhausgasemissionen ist unter Berücksichtigung aller Aspekte nicht haltbar.
Auch die Praxis des Greenwashings wird kritisch angeprangert. Wie aus anderen Bereichen wie zum Beispiel der Rüstungsindustrie bekannt, wird sich hier Sicherheit auf die Fahnen geschrieben – nur durch den Fortschritt der industriellen Landwirtschaft und weiterentwickelten Kunstdünger könne sicher gestellt werden, dass Nahrungsmittelsicherheit gewährleistet ist. Dass die Vergiftung von Natur, Mensch und Tier durch Pestizide die Ernährung der Welt nicht verbessert, sondern verschlechtert, wird durch die eigene Zuschreibung einer „Grünen Revolution“ auf die Spitze getrieben. Free the Soil arbeitet dem mit der Aufbereitung von Informationen entgegen, tritt aber auch direkt in Aktion. Vom 19. bis zum 25. September 2019 organisiert Free the Soil ein Agrar- und Klimagerechtigkeitscamp mit Workshops, Vorträgen, Filmen und einem Kulturprogramm sowie einer Massenaktion des zivilen Ungehorsams gegen den Düngemittel-Giganten YARA mit Sitz im norddeutschen Brunsbüttel.
deCoalonize Europe
Der Kohleausstieg hat es in Deutschland in das öffentliche Bewusstsein geschafft: Mit dem Ziel des Stopps für Braunkohle wird dafür gekämpft, Wälder und Dörfer davor zu bewahren, abgebaggert zu werden. Ein wichtiger und legitimer Kampf – doch was bedeutet er für Länder, in denen Steinkohle abgebaut wird?
Anders als Braunkohle kann Steinkohle problemlos über lange Strecken transportiert werden und somit besteht Gefahr, dass die wegfallende Braunkohle durch einen erhöhten Import von Steinkohle ersetzt wird (mit dem 2018 in Deutschland ausgerufenen Steinkohlestopp endete zwar der Abbau, der Import erhöhte sich allerdings massiv). Mit verheerenden Folgen in den und für die Abbauländer, zum Beispiel Kenia oder Kolumbien, aus dem eine Aktivistin diese Kritik an die Fürsprecher*innen des Braunkohlestopps richtete. Daraufhin gründete sich das Bündnis deCoalonize Europe in Abstimmung mit deCoalonize Kenia und im Verständnis, sich den Widerständen in den Abbauländern anzuschließen. Ziel ist, die Lieferketten für Steinkohle sichtbar zu machen und zugleich an ihnen entlang ein Band praktischer Solidarität zu knüpfen. In Europa müsse viel deutlicher spürbar werden, was die imperialistische Lebensweise für Menschen in den Abbauländern bedeute: Der Verlust der Lebensgrundlage, von Kultur und Sprache, Landraub, Ermordungen. Es gehe darum, bei sich selbst anzufangen, die verinnerlichten kolonialen Spuren zu finden, sie kritisch zu reflektieren und zu überwinden.
Als Wissensgrundlage wurde gemeinsam ein Buch geschrieben – Still Burning – und zu Aktionstagen vom 4. bis zum 6. Oktober aufgerufen. An vielen Punkten der Lieferkette soll mit anschlussfähigen, vielfältigen Aktionsformen, die auch eigeninitiativ von weiteren Gruppen eingebracht werden können, eingegriffen werden. Hamburg bildet dabei mit dem größten Kohleimporthafen und drei Steinkohlekraftwerken einen Hotspot.
Das Leben teilen, statt es auszubeuten
In der sich anschließenden Diskussion wurden vor allem die Parallelen der verschiedenen ökologischen Kämpfe deutlich. Es müsse vielmehr gesehen werden, welche Verbindungen zwischen der Ausbeutung der Frau, der Natur, der Tiere und Pflanzen bestehen, was Klima und Rassismus miteinander zu tun haben und wie das herrschende System mit patriarchalen und kolonialen Logiken in uns eingeschrieben ist. Maßgeblich ist die Überwindung der stark individualisierten Lebensform europäischer Gesellschaften, in der die Beziehung zueinander und zur Natur dem Einzelkämpfertum untergeordnet ist. Die Frage „Was brauche ich wirklich?“ müsse wieder viel stärker ins Zentrum rücken und im ständigen Austausch geführt werden. In Kurdistan wie in Brunsbüttel braucht es dabei das Zugehen auf die Bevölkerung, das Zuhören und das Schaffen von Zugängen, damit der Kampf ein gemeinsamer wird und nicht als Kampf einer isolierten „linken Bewegung gegen Arbeiter und Bauern" erscheint. Selbstorganisierung muss erarbeitet und gelernt werden – Räume dafür werden etwa auf den Camps geschaffen. Denn nur gemeinsam kann ein Zustand erreicht werden, in dem es nicht mehr okay ist, für ausbeuterische, klimaschädliche Unternehmen zu arbeiten – und dafür auch gar keine Notwendigkeit mehr besteht.
Das Tatort Kurdistan Café in Hamburg findet jeden zweiten Mittwoch im Monat zu verschiedenen Themen im Centro Sociale statt.