Vredendal: Was hat sich nach dem Ende der Apartheid verändert?

Am fünften Tag der Delegationsreise des Diplomatiekomitees der kurdischen Jugendbewegung durch Südafrika treffen sie mit Farmarbeiter:innen in Vredendal zusammen, die in der Gewerkschaft CSAAWU organisiert sind.

Vertreter:innen des Diplomatiekomitees der kurdischen Jugendbewegung reisen einen Monat lang durch Südafrika, um sich in verschiedene Städten mit demokratischen Organisationen, Institutionen und Bewegungen auszutauschen. Am fünften Tag der Delegation sind die Mitglieder des Diplomatiekomitees nach Vredendal, einer Stadt etwa 300 Kilometer nördlich von Kapstadt, gefahren. Hier kamen etwa 30 Arbeiter:innen der umliegenden Wein- und Orangenfarmen zu einem Gewerkschaftstreffen zusammen. Die Arbeiter:innen sind Mitglieder von CSAAWU (Commercial, Stevedoring, Agricultural and Allied Workers Union), einer inklusiven Gewerkschaft, die vor allem für die Rechte der Landarbeiter:innen kämpft.

Der Kampf der fast ausschließlich Schwarzen, bzw. Coloured (Bezeichnung aus Zeiten der Apartheid für Südafrikaner gemischter Herkunft) Landarbeiter:innen beschränkt sich nicht nur auf bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne. Die meisten von ihnen wohnen unter schlechtesten Bedingungen in Hütten und Wohnwagen, die im Besitz der weißen Farmbesitzer sind, wodurch die Arbeiter:innen Ausbeutung auf mehreren Ebenen ausgesetzt sind.

So kann es jederzeit passieren, dass Arbeiter:innen gekündigt und/oder von ihrem Wohnort vertrieben werden. In diesem Fall werden sie automatisch nicht nur arbeits- sondern auch obdachlos. Ein Genosse erzählte, wie er nach 20 Jahren, die er auf einer Farm arbeitete, über Nacht gekündigt wurde. Mithilfe seine langjährigen Erfahrung hatte er zuletzt die Arbeit auf der Farm selbst geleitet und am Leben gehalten. Trotzdem steht er nun ohne offiziell anerkannte Qualifikation vor dem Nichts, in einem Land mit knapp 50 Prozent Arbeitslosigkeit.

Doch auch die Arbeiter:innen, die ihren Job behalten können, kämpfen täglich für ihr Überleben. Die Farmbesitzer nutzen das massive Angebot an billiger Arbeitskraft skrupellos aus, um die Lebensbedingungen der ihnen schutzlos ausgelieferten Arbeiter:innen so niedrig wie möglich zu halten. Die wenigsten Behausungen haben Zugang zu sanitären Anlagen, mehrköpfige Familien leben oft in einem Raum zusammen und es gibt keinerlei finanzielle Absicherungen gegen Arbeitsausfall. Besonders gefährdet durch diese Lebensbedingungen sind die Kinder und Jugendlichen auf den Farmen. Ohne Spielplätze oder andere Freizeitangebote kommt es immer wieder zu tragischen Unfällen. Eine Genossin erzählte der kurdischen Delegation von einem zweijährigen Kind, das vor einigen Wochen beim Spielen von einer landwirtschaftlichen Maschine erfasst und getötet wurde. Solche Unfälle sind keine Einzelfälle, sondern haben System.

Da es im Gegensatz zum Anwesen der Farmer keinen Schutz vor Bandenkriminalität gibt, halten viele Arbeiter:innen Wachhunde. Dies wird seitens der Farmer mit dem Auslegen von Gift beantwortet, obwohl die Arbeiter:innen schon oft protestierten, dass sich ihre Kinder beim Spielen an den ausgelegten Ködern vergiften.

Bei der Ausbeutung der Arbeiter:innen setzen die Farmbesitzer besonders auf das Zerstören von sozialen Strukturen. So müssen Jugendliche beim Erreichen des 18. Lebensjahres die Farm und somit das Elternhaus verlassen. Anstelle ihrer werden andere Arbeiter angeworben, damit das soziale Band der Familie keinen Austausch oder gar Organisierung der Arbeiter:innen zulässt. Auch durch selektive Bevorteilung versuchen die Farmbesitzer die Arbeiter:innenschaft zu spalten. Dafür machen sie sich beispielsweise Arbeiter:innen aus den umliegenden Ländern zu Nutze, denen sie noch niedrigere Löhne zahlen können, und mit denen sie die südafrikanischen Arbeiter:innen bedrohen können. Diese und andere Methoden fördern xenophobische Tendenzen und spalten die Arbeiter:innen in Gruppen entlang ethnischer Zugehörigkeit und Hautfarbe.

Wir sehen also, dass obwohl die Gesetze des Apartheid-Regimes offiziell abgeschafft wurden und Südafrika damit wirbt, die progressivste Verfassung der Welt zu besitzen, sich die Situation an der Basis kaum verändert hat. Anstelle, dass die Hautfarbe die Gesellschaft gesetzlich in Kategorien einteilt, tut dies heute das Kapital entlang von Klassenzugehörigkeit. Da diese während der Apartheid durch Hautfarbe und Herkunft bestimmt wurde und diese Strukturen nach 1994 nur auf dem Papier aufgelöst wurden, zieht sich die rassistische Struktur des Apartheid-Regimes bis heute durch alle Bereiche der Gesellschaft und wird besonders durch die Realität der Arbeiter:innenklasse sichtbar.

Um gegen diese Realität zu kämpfen, haben die organisierten Arbeiter:innen von CSAAWU ein 23-Punkte-Programm erstellt, mit dem sie ihre Forderungen verdeutlichen und neue Mitglieder organisieren. Auf ihrem Treffen haben sie außerdem das konkrete Vorgehen der nächsten Wochen besprochen und sich über die Entwicklungen auf den jeweiligen Farmen ausgetauscht. Am Ende hatte die kurdische Delegation noch die Gelegenheit, mit den anwesenden Arbeiter:innen über alternative Formen von Arbeiter:innenorganisierung und das Kooperativen-Modell, wie es in Nord- und Ostsyrien aufgebaut wird, zu sprechen. In Kurzvorträgen über den Demokratischen Konföderalismus, die Revolution in Rojava und die Rolle der Frauen und Jugend konnten die Delegierten diesen Diskussionen einen theoretischen Hintergrund geben.

Zum Ende des Treffens herrschte eine entschlossene und kämpferische Stimmung. Eine Genossin fasste ihre Motivation mit dem Satz zusammen: „Wir sind nicht hier, um einen Krieg zu führen, aber wenn es zum Krieg kommt, werden wir kämpfen."