Zilar Stêrk: Zîlans Aktion war ein Wendepunkt

Zilar Stêrk aus dem Präsidialrat der KCK erklärt, die Aktion von Zîlan 1996 stellte einen ideologischen, sozialen und politischen Wendepunkt für den Frauenkampf dar.

Zîlan (Zeynep Kınacı)

1996 befand sich der türkische Staat in einer Vernichtungsoffensive gegen die kurdische Freiheitsbewegung. Mit einem Mordanschlag hatte der türkische Staat versucht, Abdullah Öcalan zu liquidieren, und in Nordkurdistan herrschte an vielen Orten Grabesruhe. Zu diesem Zeitpunkt entschloss sich die erst seit kurzer Zeit in der Guerilla aktive Kämpferin Zîlan (Zeynep Kınacı) zu einem Fanal. Als am 30. Juni 1996 eine türkische Militärparade durch die Widerstandshochburg Dersim marschieren sollte, schritt sie zur Tat. Sie stürmte in die marschierenden Soldaten und sprengte sich in die Luft. Dabei löschte sie eine ganze Militäreinheit aus. Dieser Schlag versetzte die Armee in Panik und gab insbesondere der kurdischen Frauenfreiheitsbewegung Motivation, Schwung und neue Kampfkraft, die sich im Aufbau der Frauenarmee kanalisierte. In einem auf Stêrk TV ausgestrahlten Interview sprach Zilar Stêrk als Mitglied des Präsidialrats der KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) über die Bedeutung der Aktion von Zîlan.


Was geschah 1996, als Zîlan ihre Aktion gegen das türkische Militär durchführte?

Für uns als kurdische Gesellschaft bestehen viele Probleme. Das sind Probleme in Bezug auf die Nationalität, unsere Existenz, die Identität, die Politik, militärische und soziale Fragen, die Organisierungsfrage, die Bildung, das Wissen und die Persönlichkeit. Wir haben auch Probleme mit dem Neuaufbau. Es war Rêber Apo [Abdullah Öcalan], der Lösungen für unsere Probleme erarbeitet und entwickelt hat. Es ist fraglich, ob wir, das kurdische Volk unter Genozidbedingungen, ohne Rêber Apo in der Lage gewesen wären, uns zu organisieren, zu kämpfen und unseren Kampf so weit zu entwickeln. Rêber Apo wurde genau aus diesem Grund ins Visier genommen. Mit dem Auftauchen von Rêber Apo und der Freiheitsbewegung haben sich unsere Feinde, die imperialistischen, unterdrückerischen und hegemonialen Mächte, zusammengetan und damit begonnen, einen Spezialkrieg zu führen. In Kurdistan wurde das türkische Gladio unter dem Namen JITEM organisiert, und zusammen mit Hizbulkontra-Söldnergruppen wurden Patriot:innen ermordet. In Kurdistan wurde der Spezialkrieg institutionalisiert.

Der Feind schuf eine ihm passende Persönlichkeit in Kurdistan und setzte sie gegen die Freiheitsbewegung ein. Es gab vor allem Probleme mit den Kadern, den Führungskräften, den Kommandanten und der Militanz. Rêber Apo hat sich in den Jahren 1992, 1993, 1994 und 1995 in besonderer Weise mit diesen Problemen befasst. Wenn man seine Erklärungen aufmerksam liest und verfolgt, wird man feststellen, dass er seine ganze Kraft auf unsere internen Probleme gerichtet hat. Dieser ideologische Kampf wurde von Rêber Apo vorangetrieben. Er wollte einen Aufbruch in der Freiheitsbewegung schaffen, insbesondere 1995. Rêber Apo sagte: „1996 werden wir Schritte unternehmen, um uns neu zu formieren. Wir haben große Ziele und Aufgaben.“ Er hatte die Bewegung in jeder Hinsicht auf diesen Schritt vorbereitet. Der Feind war sich dessen natürlich auch bewusst und begann, Maßnahmen dagegen zu ergreifen. Dabei ging es um die physische Vernichtung von Rêber Apo. Dann sollten die Freiheitsbewegung und das gesamte kurdische Volk einem Völkermord unterworfen werden.

Am 6. Mai 1996 organisierte der Feind ein Attentat, um Rêber Apo physisch auszuschalten. Eine Autobombe explodierte vor der Akademie, in der er sich aufgehalten hatte. Das Ziel dieses Anschlags war es, das kurdische Volk führungslos zu machen. Man wollte das kurdische Volk wieder in die Zeit vor Rêber Apo zurückversetzen. Aber die politischen Perspektiven von Rêber Apo waren sehr tiefgründig und er kannte den Feind sehr genau. Dieses Bewusstsein hat sich auch bei den Vorkämpferinnen und Vorkämpfern, Kadern und Aktivistinnen und Aktivisten der Bewegung gebildet. Dank der Maßnahmen, die Rêber Apo und die Bewegung ergriffen hatten, scheiterte dieser Angriff.

Kann man sagen, dass die Aktion von Zîlan eine Antwort war? Welche Botschaft wollte Zîlan an den Feind, aber auch nach innen senden?

Es ist wahr, dass die Genossin Zîlan beschlossen hatte, sich selbst in einer Aktion gegen das Konzept der Zerstörung und Vernichtung zu opfern. Heval Zîlan hatte keine ganzen zwei Jahre als Guerillakämpferin hinter sich gebracht und war noch nicht lange in den Bergen von Dersim. Die Aktion von Heval Zîlan, als einem bewussten, patriotischen Menschen, richtete sich gegen den Angriff auf die Existenz und das freie Leben des kurdischen Volkes. Es war nicht nur eine militärische Aktion. Mit dem Bewusstsein und dem Willen, den sie von Rêber Apo und der Freiheitsbewegung erhalten hat, beschloss Heval Zîlan, sich selbst zu opfern. Ja, es war eine sehr strategische Militäraktion. Sie bestimmte die Taktik und Strategie der damaligen Zeit im Guerillakrieg, aber sie ebnete auch den Weg für viele Dinge. Es war eine sehr heilige und große Aktion und eine Antwort auf die damalige Situation.

Stellte die Aktion einen Wendepunkt dar?

Die Aktion von Heval Zîlan war wichtiger Wendepunkt in Bezug auf den ideologischen, sozialen und politischen Kampf, insbesondere auf den Frauenkampf. Zîlan sprengte das reaktionäre Verständnis, sprengte das Problem des Realsozialismus, sprengte die militärische und politische Blockade und vereitelte das Konzept des Feindes in jeder Hinsicht. Wir müssen Heval Zîlan sehr tiefgehend betrachten und analysieren. In der Person von Zîlan schuf die kurdische Frau auch eine Explosion der Freiheit in sich selbst. Mit Heval Zîlan kam es zu neuen Entwicklungen bei den kurdischen Männern. Auch die reaktionären Männer wurden durch die Fedai-Aktion in die Luft gejagt. Zîlan Heval beeinflusste alle, Männer und Frauen, mit ihrer Haltung.

Sie führte zu sehr schwerwiegenden sozialen, kulturellen, persönlichen, militärischen und lebenswichtigen Veränderungen. Tausende von kurdischen Jugendlichen wurden zu Nachfolger:innen Zîlans. Heval Sema Yüce, die in die Fußstapfen von Heval Zîlan trat, führte eine Aktion im Gefängnis von Çanakkale durch und sagte in ihrem Brief: „Ich wünschte, ich hätte eine Aktion wie Genosse Zîlan machen können.“

Mit der Aktion von Heval Zîlan vollzog sich auch bei Rêber Apo ein sehr radikaler Wandel. Seine Auseinandersetzung mit den Frauen und dem Realsozialismus vertiefte sich. Er entwickelte die Ideologie der Frauenbefreiung. Rêber Apo sagte über Zîlan: „Zîlan ist unsere Kommandantin, wir sind ihre Kämpfer.“ Der Genosse Fikri Baygeldi sah die Linie von Heval Sema als die Linie der freien Frauen und machte sie sich zu eigen. Rêber Apo interessierte sich sehr für die Geschlechterverhältnisse in Kurdistan. Die herrschenden Kräfte in Kurdistan hatten ein sehr spezielles patriarchales System errichtet, aber Rêber Apo schuf eine Gesellschaft, die die Angst vor dem Tod überwand. Unsere Genossinnen und Genossen, die derzeit im Kriegsgebiet kämpfen, sind die Vertreter:innen dieses Geistes, dieses Willens und dieses Lebens.

Was steht für ein Gefühl hinter der Aktion von Zîlan? Wie muss man den Zusammenhang von Krieg, Leben und Kampf betrachten?

Wir haben nichts mehr zu fürchten. Ein Mensch, der den Tod in seiner Persönlichkeit überwindet, ist dem Leben sehr verbunden. Zîlans Handeln und ihre Persönlichkeit waren vom Willen zum Leben geprägt. Sie tötete den Tod. In Kurdistan war die Grenze zwischen Leben und Tod fließend. Das Leben hatte keine Bedeutung mehr, das Leben fand auf einer biologischen Ebene statt. Das Leben gewinnt seinen Sinn durch den Kampf. Der Mensch kämpft darum, seinem Leben einen Sinn zu geben.

Seit 50 Jahren führen wir einen Kampf um Existenz, Identität, Kultur, Politik, Verteidigung, Ökonomie und Gesellschaft. Auf diese Weise hat das Leben in Kurdistan einen Sinn bekommen. Das Leben in Kurdistan ist wertvoll geworden. Dank Rêber Apo, dank Zîlan, Sema, Fikri Baygeldi, Leyla und anderen Genoss:innen hat das Leben einen Sinn bekommen. Jetzt ist das menschliche Leben wertvoll. Der Überzeugung des kurdischen Volkes ist jetzt der Glaube an das freie Leben. Alle unsere Genossinnen und Genossen, die heute in den Tunneln des Widerstands kämpfen, sind die Nachfolger von Zîlan, Gulan und Sema.

Zîlans Aktion richtete sich gegen das internationale Komplott gegen Abdullah Öcalan. Heute ist die Situation von Rêber Apo noch dramatischer, das Komplott befindet sich auf seinem Höhepunkt. Wie bewerten Sie die Führungsrolle der Frauen in der Kampagne „Freiheit für Abdullah Öcalan und eine Lösung der kurdischen Frage“?

Die Verteidigung von Rêber Apo bedeutet die Verteidigung des kurdischen Volkes. Die Verteidigung von Rêber Apo bedeutet die Verteidigung des freien Denkens und der Ideologie. Rêber Apo zu verteidigen heißt, das freie Leben zu verteidigen. Er hat das kurdische Volk und das kurdische Leben revitalisiert und wiederaufgebaut. Die Verteidigung von Rêber Apo ist eine grundlegende Pflicht. In ihrem Brief gibt Heval Zîlan dem kurdischen Volk und uns die Aufgabe, ihn zu verteidigen. Dank des Systems und des Paradigmas von Rêber Apo gibt es auf der ganzen Welt immer mehr Freund:innen und Genoss:innen des kurdischen Volkes.

Früher sagten wir, dass die Kurden keine anderen Freunde als die Berge hätten. Jetzt sind unsere Freund:innen sogar die Vorreiter:innen im Kampf um die physische Freiheit von Rêber Apo. Unser Volk und insbesondere die Frauen müssen sich intensiv mit diesem Thema auseinandersetzen. Es ist notwendig, sich in jeder Hinsicht an dieser Offensive zu beteiligen. Alle sollten ihre Beteiligung einen Schritt weiter erhöhen und so dem Leben eine größere Bedeutung verleihen. Von heute an muss die Beteiligung an der Offensive noch mehr wachsen. Lasst eure Kinder den Tod besiegen, warum habt ihr Angst?

Die Beteiligung der kurdischen Frauen an dieser Offensive ist sehr wichtig. Sie machen eine Menge Arbeit und leisten sehr viel. Meistens sind es Frauen, die diese Offensive anführen. Frauen spielen eine führende Rolle auf internationaler Ebene. Ich begrüße ihre Anstrengungen und ihre Arbeit, aber die Frauen sollten die Farbe und den Namen der Bewegung stärker bestimmen. Sie sollten ihre Parolen auf einer autonomen Basis stärker herausstellen und entsprechende Argumente formulieren. Sie sollten auch unabhängige Aktionen entwickeln. Ich grüße noch einmal unsere Freund:innen, die diese Aktion gestartet haben, und beglückwünsche sie für ihren Widerstand. Ich rufe sie auf, die Aktionen auszuweiten und fortzusetzen.“