Salih Muslim: Die Türkei ist nicht nur unser Problem

Die Türkei versucht sich der bilateralen Vereinbarung über eine Sicherheitszone in Nordsyrien zu entziehen, um dort am Beispiel der baathistischen Arabisierungspolitik einen „türkischen Gürtel“ zu etablieren, erklärt der PYD-Politiker Salih Muslim.

Trotz der Umsetzung der trilateralen Vereinbarung zwischen den Demokratischen Kräften Syriens (QSD), den USA und der Türkei über eine „Sicherheitszone“ in Nordsyrien beharrt die Regierung in Ankara auf der Besatzung der selbstverwalteten Gebiete Nord- und Ostsyriens. Das sagte der Sprecher der Partei der Demokratischen Einheit (PYD) Salih Muslim in einem Interview mit der Nachrichtenagentur ETHA. Muslim erklärte, die Türkei wolle in dem Grenzstreifen einen „türkischen Gürtel“ etablieren und damit die nach 1965 gültige Arabisierungspolitik des Baath-Regimes in den kurdischen Gebieten Syriens ihren eigenen Vorstellungen nach umsetzen. „Die Absichten des türkischen Staates sind kein Geheimnis. Aber das ist jetzt ein Problem der USA und der internationalen Koalition“, so der kurdische Politiker.

Salih Muslim erinnert in dem Gespräch daran, dass unter dem Vorwand der Grenzsicherheit der Türkei anstelle einer Pufferzone ein „Sicherheitsmechanismus“ installiert werde und ergänzt: „Im Klartext bedeutet das: türkische Beobachtungsposten im Grenzstreifen. Somit wird niemand die Grenze passieren können. Aber auch damit gibt sich der türkische Staat nicht zufrieden, weil er dort einmarschieren und ein kurdenfreies Gebiet schaffen will. Das ist selbstverständlich inakzeptabel. Unserer Meinung nach sollte sich die Türkei endlich von diesen Vorstellungen loslösen.“

Rojava war und ist keine Gefahr für die Türkei

Rojava habe zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr für die Türkei dargestellt und sei dem Nachbarland gegenüber nicht feindlich gesinnt, führt Muslim weiter aus. Es ginge einzig darum, die Grenzen zu schützen und zu verteidigen. „Zwischen der Türkei und den USA ist es in Bezug auf die Sicherheitszone zu einer Einigung gekommen. Die Demokratischen Kräfte Syriens waren mit dem Abkommen einverstanden und haben bereits praktische Schritte für dessen Umsetzung eingeleitet. Dennoch sucht der türkische Staat jetzt nach Möglichkeiten, sich der Vereinbarung zu entziehen. Das ist allerdings nicht unser Problem, sondern ein Problem der USA und der Koalition“, erklärt der PYD-Politiker.

Kopie des „arabischen Gürtels“

Nach ihrer Machtübernahme in Syrien im Jahr 1963 beschloss die Baath-Partei einen 350 Kilometer langen und etwa 15 Kilometer breiten „arabischen Gürtel“ entlang der Grenze zur Türkei, um damit die ethnische Bevölkerungszusammensetzung zugunsten der arabischen Bevölkerung zu verändern. Im Zuge des Arabisierungsprojekts wurden ab Anfang der 70er Jahre Dutzende neue Dörfer errichtet und tausende arabische Familien aus Raqqa und Aleppo angesiedelt. Kurden wurden aus ihrer angestammten Heimat vertrieben oder deportiert, ihre Anbauflächen enteignet und den neu angesiedelten Arabern zugesprochen. Das Regime entzog den Kurden zudem ihre Staatsbürgerschaft und arabisierte alle kurdischen Ortsnamen.

„Eine ähnliche Situation möchte jetzt die türkische Regierung schaffen. Ein Bevölkerungsteil, der sich aus angeheuerten Dschihadisten zusammensetzt, soll sich in einem Gebiet niederlassen, das ihnen nicht gehört. Kann das annehmbar sein? Wir sprechen uns ja ohnehin dafür aus, dass jeder Syrer an seinen Heimatort zurückkehren soll. Aber die Antwort auf die Frage, weshalb die Türkei Personen aus dem Süden des Landes an ihre eigene Grenze verlegen will, ist für alle klar“, so Muslim.

Türkei wird von Kriegskoalition regiert

Die Türkei werde derzeit von einer Koalition, die sich aus der AKP, MHP, dem sogenannten Ergenekon-Bund und der Hizbul-Kontra zusammensetzt, regiert. Es handele sich dabei um eine „Kriegskoalition“, die allerdings bei der noch so kleinsten Aussicht auf Frieden in sich zusammenfallen würde, meint Muslim. „Diese Gleichung ist Fakt. Erdoğan wird alles aufs Spiel setzen, damit sie bestehen bleibt, ganz egal, wie schlimm die Folgen für ihn sein werden. Möglicherweise würde Druck der internationalen Koalition zum Zusammenbruch dieses Kriegsbündnisses führen. Das sollte nicht ignoriert werden.“

‚Wir werden uns verteidigen‘

Sollte es tatsächlich zu einem Angriff auf Rojava kommen, wie Erdoğan zuletzt vor einer Woche siganlisierte, werde sich die Bevölkerung in jedem Fall verteidigen, unterstreicht Salih Muslim. Niemand werde seine Hände zusammenfalten und sich dem Tod ausliefern. „Den Frieden wollen immer zwei Seiten, Krieg allerdings nur eine. Nur wenn die andere Seite bereit ist, umsichtig zu sein und für das Wohl der Menschen handelt, können Probleme aus der Welt geschafft werden. Aber wenn Erdoğan auf Krieg besteht, werden wir uns verteidigen“, sagte Muslim.