Auch einen Tag nach dem koordinierten Massenausbruchsversuch in einem Haftzentrum für Gefangene der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) in Hesekê dauern die Spannungen in der Stadt weiter an. Der Außenbeauftragte der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien, Abdulkarim Omar, sieht den Westen für die neu entflammte Eskalation verantwortlich und warnt vor weiteren Revolten. Es sei weder der erste Anschlag dieser Art noch werde er der letzte sein, äußerte Omar mit Blick auf den Sturm auf das Gefängnis im Stadtteil Xiwêran (Ghweiran) gegenüber ANF.
„Die Vorfälle in Hesekê werfen ein Schlaglicht auf die Unfähigkeit und teilweise auch die mangelnde Bereitschaft der internationalen Staatengemeinschaft, sich dem IS-Terror entschieden entgegenzustellen und ihre Pflichten gegenüber ihren in unseren Gebieten inhaftierten Bürgerinnen und Bürgern zu erfüllen“, kritisiert Omar. Gewiss seien es die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) gewesen, die vor bald drei Jahren mit dem Sieg über die letzte IS-Enklave Baghouz die Territorialherrschaft des IS in dem Land zerschlagen hätten. Doch der Terror sei damit nicht beendet. „Es war ein rein militärischer Sieg. Der IS ist weiterhin aktiv, klandestine Schläferzellen sind auf dem Vormarsch. Viele Orte, die jahrelang unter IS-Besatzung standen, stehen noch immer unter dem Einfluss der Ideologie dieser Dschihadistenmiliz. Gefängnisse sowie Internierungs- und Auffanglager mit IS-Mitgliedern oder ihren Familienangehörigen sind geprägt von Meutereien und Anschlägen“, so der kurdische Politiker.
Ohne Rückzug der Türkei kein Ende des IS-Terrors
Die Bedrohung durch den IS-Terror in Syrien könne nur beendet werden, wenn in die Region wieder Stabilität einkehrt, führt Omar weiter aus. Insbesondere die türkische Besatzung sowie das Embargo gegen die Autonomiegebiete hätten katastrophale Auswirkungen auf die Stabilität im Nordosten von Syrien. „Es ist diese Belagerungspolitik von allen Seiten, die dem IS-Terror ein neues Fundament aufbaut. Solange sich die wirtschaftliche Lage in der Region weiter verschlechtert – gerade im Hinblick auf die nach wie vor geschlossenen Grenzübergänge Til Koçer und Sêmalka – riskiert die Staatengemeinschaft ein Wiedererstarken des IS. Humanitäre Notlagen wie etwa die jetzige sind vom IS bereits in der Vergangenheit dafür genutzt worden, sich zu organisieren. Auch die nicht enden wollenden Angriffe des türkischen Staates auf unsere Gebiete dienen im Endeffekt dazu, zum erneuten Aufstieg des IS beizutragen.“
Westen fordert IS 2.0 heraus
Durch die verweigerte Verantwortung der Staatengemeinschaft den ausländischen IS-Gefangenen und ihren Angehörigen gegenüber fordere der Westen einen IS 2.0 geradezu heraus, bemängelt Abdulkarim Omar. „Es sind zehntausende Anhänger der Miliz und ihre Familienmitglieder, deren Last allein auf unseren Schultern liegt. Wir haben immer wieder vor Situationen wie der momentanen gewarnt und an die Herkunftsländer sowie die internationale Anti-IS-Koalition appelliert, sich verantwortlich zu zeigen. Der IS ist ein internationales Problem, die Staatengemeinschaft steht in der Pflicht, es anzugehen und aus dem Weg zu räumen. Sie muss alles dafür tun, den IS-Terror zu unterbinden und der Täter habhaft zu werden. Die Ahndung des Unrechts dieser Miliz und der Verbrechen ihrer Mitglieder muss umgehend vor nationalen Gerichten beginnen. Dafür müssen alle Herkunftsländer ihre Bürgerinnen und Bürger zurücknehmen“, fordert Omar.
IS-Sondertribunal bleibt zentrale Forderung
Auf die Frage, wie fortgefahren werden solle, wenn sich Länder dennoch einer Rücknahme ihrer Staatsangehörigen verweigern, antwortet Omar mit der Einrichtung eines IS-Sondergerichts für Nord- und Ostsyrien. Ein internationales Tribunal zur juristischen Aburteilung von IS-Tätern in nordostsyrischer Haft fordert die Selbstverwaltung bereits seit Jahren, um Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für die Opfer zu gewährleisten. „Aber nicht nur für ein Sondergericht benötigen wir die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, sondern auch für die Versorgung und Sicherung der Insassinnen und Insassen in den Gefängnissen und Lagern im Autonomiegebiet“, fordert Omar und warnt: „Das Haftzentrum in Xiwêran wurde als Schule errichtet, nicht als Gefängnis. In einem Gebäude wie diesem tausende, teils hochgradig gefährliche IS-Terroristen unterzubringen, kann auf Dauer nicht gut gehen.“