Die Vorsitzende der US-Kommission für internationale Glaubensfreiheit (USCIRF), Nadine Maenza, hat die internationale Staatengemeinschaft aufgefordert, Druck auf die Türkei auszuüben und einen völligen Rückzug aus Syrien durchzusetzen. „Wir definieren die Türkei in Nord- und Ostsyrien als Besatzungsmacht und raten auch der Regierung der Vereinigten Staaten, innerhalb der internationalen Gemeinschaft den Druck auf die türkische Staatsführung dahingehend zu erhöhen, um ihre Truppen abzuziehen“, sagte Maenza am Sonntag in Qamişlo. Sie erwarte, dass eine dahingehende Entscheidung auch die Rückgabe aller in den besetzten Gebieten geplünderten Güter beinhaltet.
Die USCIRF-Vorsitzende Nadine Maenza hält sich seit dem Wochenende im Autonomiegebiet von Nord- und Ostsyrien auf, um sich einen Überblick über die sicherheitspolitische und humanitäre Situation in der Region zu verschaffen. Am Vortag traf sie in der Abteilung für auswärtige Beziehungen mit dem Ko-Ressortleiter Abdulkarim Omar zusammen und erörterte mit weiteren Vertreterinnen und Vertretern der Autonomieverwaltung die jüngsten Entwicklungen.
Abdulkarim Omar (r.) begrüßt Nadine Maenza in seinem Büro in Qamişlo
Weitere Destabilisierung durch Drohnenangriffe
„Es war enttäuschend, nur wenige Stunden nach meiner gestrigen Ankunft zu erfahren, dass es in Kobanê Drohnenangriffe auf die Zivilbevölkerung gab“, äußerte Maenza gegenüber der Presse. Bei den Bombardierungen vom Samstag war ein kurdischer Zivilist getötet worden, zwölf weitere Menschen wurden verletzt. Einem vierjährigen Jungen musste ein Bein amputiert werden. Laut Maenza sei es offensichtlich, dass der türkische Drohnenterror den Zweck verfolge, den Nordosten von Syrien zu destabilisieren, um weitere Teile des Landes zu besetzen. Im Hinblick darauf sei es von entscheidender Bedeutung, dass der Westen nicht länger zögert und darauf insistiert, dass die Angriffe umgehend eingestellt werden.
USA soll Autonomieverwaltung als Regionalregierung anerkennen
„Als USCIRF haben wir bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass es in den von der Türkei besetzten Gebieten Syriens zu schweren Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen kommt, die sich hauptsächlich gegen Angehörige der christlichen, ezidischen und kurdischen Gemeinschaften und insbesondere Frauen kommt. In den Autonomiegebieten dagegen herrscht eine herausragende Freiheit“, so Maenza. „Wir empfehlen, dass die US-Regierung die Autonomieverwaltung im Nordosten Syriens als regionale, lokale Regierung anerkennt und sie politisch unterstützt. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Aufhebung der Sanktionen gegen die Region“, betonte sie.
Omar: Embargo bietet IS ideales Umfeld für Rückkehr
Abdulkarim Omar ging im Besonderen auf das de-facto Embargo gegen Nord- und Ostsyrien als Resultat der Schließung der Grenzübergänge in das Autonomiegebiet ein. Die Auswirkungen seien gravierend, vor allem auf die Wirtschaft. „Diese Situation bietet ein ideales Umfeld für die Rückkehr der Terrorgruppe ‚Islamischer Staat‘. Auch der türkische Staat arbeitet mittels zermürbender Angriffe und anderer Handlungen darauf hin, den IS wiederzubeleben. Dies gilt es zu verhindern“, forderte Omar. Als wichtigen ersten Schritt sieht der kurdische Politiker die Wiedereröffnung des Grenzübergangs Yarubiyah (ku. Til Koçer) für humanitäre Hilfe. Auch die Öffnung anderer Übergänge zwischen West- und Südkurdistan müsse sichergestellt werden.
1,3 Millionen Menschen auf Hilfslieferungen angewiesen
In den von Angriffskriegen der Türkei, einem mehrfachen Embargo und Terror gegen die Zivilbevölkerung gebeutelten Autonomiegebieten im Nordosten Syrien leben mehr als fünf Millionen Menschen. Über ein Viertel der Bevölkerung (1.300.000 Millionen) setzt sich aus Binnenvertriebenen, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, zusammen. Doch schon länger zieht eine „humanitäre Katastrophe” auf, vor der die Selbstverwaltung immer wieder eindringlich warnen muss – ohne Erfolg. Yarubiyah war der einzige Grenzübergang, über den offizielle UN-Hilfsgüter unabhängig vom syrischen Regime über den Irak in den Nordosten des Landes gelangen konnten. Seit der Schließung des Übergangs Anfang 2020 läuft die UN-Hilfe über Damaskus und kommt – wenn überhaupt – nur verzögert im Nordosten an. Während von den Hilfslieferungen in der Regel mehr als 70 Prozent fehlen, gelangen von den medizinischen Lieferungen nur eine Handvoll in die Region. Allerdings nur auf alternativen Wegen, obwohl die Gesundheitseinrichtungen mit einem Mangel an Medikamenten konfrontiert sind sowie kaum Medikamente und Ausstattung zur Verfügung haben, die zur Bekämpfung der Corona-Pandemie und anderer Krankheiten benötigt werden.