„Die Grenzschließung hat extreme Folgen für die Menschen“

Die Schließung des Grenzübergangs Sêmalka zwischen Nordostsyrien und Südkurdistan ist Teil des türkischen Besatzungsplans. Für die Bevölkerung von Rojava hat das extreme Folgen, erklärt die PYD-Politikerin Erîfe Bekir.

Die PDK-Führung hat ohne Kenntnis des Parlaments im Autonomiegebiet Kurdistan im Nordirak am 16. Dezember 2021 den Grenzübergang von Pêşxabûr (Fish Khabur) nach Sêmalka in Nordostsyrien geschlossen. Kurz danach wurde auch der 35 Kilometer entfernte Übergang für den Güterverkehr zwischen El-Welîd und Koçerat dicht gemacht. El-Welîd war 2017 für den Güterverkehr eröffnet worden. Der Übergang liegt in der Nähe des Dorfes Siwêdiyê (As Suwaydiyah) in Dêrik.

Die PYD-Politikerin Erîfe Bekir hat sich gegenüber ANF in Qamişlo zu den Hintergründen und Folgen der Grenzschließung geäußert. Zu den Entwicklungen der letzten zehn Jahre erklärt sie: „Zu Beginn der Revolution sind die Grenzen in Nord- und Ostsyrien geschlossen worden. Rojava wurde abgeriegelt. Nach Verhandlungen wurde 2013 der Übergang Sêmalka eröffnet, um den humanitären Bedarf der Menschen hier zu decken. Seitdem ist die Grenze immer wieder aufgrund von Parteiinteressen und aus politischen Gründen vorübergehend dicht gemacht worden.“

Bekir weist auf die Schikanen der PDK an der Grenze hin und sagt, dass Menschen dort häufig aufgehalten und verhört wurden. Die Erkenntnisse, die sich aus den Verhören der Reisenden ergaben, wurden als nachrichtendienstliche Informationen genutzt. „Die Bevölkerung von Rojava ist großem Druck ausgesetzt. Sêmalka ist bereits diverse Male geschlossen worden. Das letzte Mal konnte durch Proteste die Wiedereröffnung erreicht werden. Der Grenzübergang wird auch für den Geheimdienst genutzt. Gegen die Menschen, die aus Rojava in den Süden fahren, wird ermittelt, es finden Untersuchungen statt.“

Wichtig für die Krankenversorgung

Wichtig ist Sêmalka auch für die Krankenversorgung, sagt Erîfe Bekir: „Aus Rojava fahren viele Kranke zur medizinischen Behandlung nach Başûr [Südkurdistan]. An der Grenze werden sie oft tagelang aufgehalten und befragt. Viele Menschen, die in der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien arbeiten, können aus Sicherheitsgründen nicht nach Damaskus fahren und wollen ihre Angelegenheiten in Başûr erledigen. Ihre Namen werden an den Geheimdienst weitergeleitet und sie werden tagelang verhört. Manchmal wird ihnen der Grenzübertritt verweigert.

Die Lage ist momentan sehr gefährlich und sensibel. Rojava steht unter großem Druck. Die Grenze wird alle paar Monate dichtgemacht. Damit soll die Bevölkerung in eine schwierige Situation versetzt werden, um sie gegen die Autonomieverwaltung aufzubringen und zur Migration zu bewegen. Mit der Grenzschließung werden auch die Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes MIT verstärkt. Die Menschen sollen in die Flucht getrieben werden, sie sollen wirtschaftlich und hinsichtlich ihrer Sicherheit bedrängt werden. Das Leben von fünf Millionen Menschen in Rojava wird damit gefährdet.“

Familienangehörige können sich nicht gegenseitig besuchen

Aufgrund der türkischen Besatzung und der ständigen Angriffe durch die islamistischen Proxy-Truppen sind viele Menschen aus Rojava nach Südkurdistan gegangen, sagt Bekir: „Oftmals befindet sich ein Teil der Familie in Rojava und der andere in Başûr. Sie wollen sich gegenseitig besuchen, aber das geht nicht. Fünf Millionen Menschen sind hier, eine Million ist nach Başûr gegangen. Mit der Schließung der Grenze wird die Verbindung gekappt.

Zudem verschlechtert sich die wirtschaftliche Lage. Rojava bekommt keine Luft mehr. Über den Grenzübergang Sêmalka konnte Rojava Luft bekommen, hier verlief der Handelsverkehr zwischen Rojava und Başûr. Der Druck auf Rojava ist hinsichtlich der Wirtschaft, der Lebenssicherheit und der Gesundheit auf höchstes Niveau gerückt worden. Die Bevölkerung ist davon sehr stark betroffen.“

Grenzschließung auf türkischen Wunsch

Erîfe Bekir sagt, dass sich die PYD, die YNK und zivilgesellschaftliche Einrichtungen für die Wiedereröffnung der Grenze einsetzen: „Auch die Autonomieverwaltung hat diverse Gespräche geführt, aber das hat bisher zu keinen Ergebnissen geführt. Es werden Gründe für die Schließung vorgeschoben und damit werden die Menschen in Rojava in eine schwierige Situation gebracht.

Rojava wird täglich angegriffen und große Gebiete in Nordostsyrien sind besetzt. Der türkische Staat greift ununterbrochen Zirgan, Til Rifat, Til Temir und die Dörfer um die Besatzungszone in Serêkaniyê und Girê Spî an. Weil er damit keine Erfolg hat, schmiedet er neue Besatzungspläne. Die Schließung von Sêmalka ist Teil dieses Plans. Die Führung Südkurdistan hätte sich nicht darauf einlassen dürfen. Die Grenze ist geschlossen worden, weil die Türkei es so gewollt hat.“