Monatsbilanz: Über 700 Granaten auf Minbic

Im Raum Minbic sind im September mehr als 700 Artilleriegeschossene eingeschlagen – abgefeuert aus der türkischen Besatzungszone in Nordsyrien. Laut dem örtlichen Militärrat kam es zu Zerstörungen der zivilen Infrastruktur und Schäden in Anbauflächen.

Im Großraum von Minbic (Manbidsch) sind im September mindestens 723 Artilleriegeschosse eingeschlagen. Das teilt der Militärrat in seiner monatlichen Bilanz zum Kriegsgeschehen in der Region im Norden von Syrien mit. Die Granaten wurden aus der türkischen Besatzungszone abgefeuert und schlugen größtenteils in Siedlungsgebieten ein. Der Militärrat von Minbic spricht von „gezielter Zerstörung ziviler Infrastruktur und Anbauflächen der Bevölkerung“ und damit „systematischen Völkerrechtsbrüchen“ durch die türkische Armee und dschihadistische Hilfstruppen der Türkei.

„Die Militärräte von Minbic und Bab sind entschlossen, diese Angriffe weiterhin auf Grundlage der legitimen Selbstverteidigung zu beantworten“, heißt es in der Bilanz. Eine Auflistung zum Umfang und Zielen der Bombardierungen ist wie folgt vorgelegt worden:

Hawshariyah, Jat, Thukar: 151 Granaten

Arab Hasan, Mahsanli, Dadat: 51 Granaten

Umm Adasat, Dandaniyah: 303 Granaten

Saydiyah: 76 Granaten

Yulanli: 52 Granaten

Umm al Julud: 4 Granaten

Arimah und Umland: 86 Granaten

Der Militärrat von Minbic weist darauf hin, dass Artilleriefeuer auf das Dorf Arab Hasan zu massiver Zerstörung in den Stromleitungen und Häusern sowie Anbaugebieten der Bevölkerung geführt hat. In Umm Adasat führten die Angriffe zur Vernichtung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Auf die Bombardierung der Ortschaft Saydiyah durch Besatzungstruppen reagierte der Militärrat Bab mit einer Vergeltungsaktion gegen die türkische Militärbasis in Yulanli. Bei dem Vorfall wurde eine unbekannte Zahl an Dschihadisten getötet, zudem wurde ein Waffendepot größtenteils zerstört.

Die Stadt Minbic

Minbic ist am 15. August 2016 vollständig von den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) befreit worden. Damit wurde die mehr als zweieinhalbjährige Herrschaft des IS beendet. Für den IS bedeutete der Verlust eine schwere Niederlage, galt Minbic doch als die „geheime Hauptstadt“, die auf der strategisch wichtigen Versorgungsroute von der türkischen Grenze nach Raqqa lag, und in der Selbstmordattentäter ausgebildet und unter anderem nach Europa geschickt wurden.

Kurz bevor die QSD am 1. Juni 2016 die Befreiungsoffensive am Tischrin-Staudamm starteten, war der Militärrat von Minbic durch die von den Volks- und Frauenverteidigungseinheiten (YPG/YPJ) angeführten QSD ins Leben gerufen worden. Einer seiner Mitbegründer war Abu Leyla (Faisal Abdi Bilal Saadoun), der am dritten Tag der Operation bei einem Artillerieangriff von einem Schrapnell am Kopf getroffen wurde. Als Abu Leyla am 5. August verstarb, wurde die Offensive auf Minbic nach ihm benannt.

75-tägiger Befreiungskampf

Insgesamt 75 Tage dauerte der Kampf um Minbic. Er war ein voller Erfolg, an dem vor allem YPJ-Kämpferinnen maßgeblich beteiligt waren. Unvergessen sind die Bilder von Frauen, die nach der Befreiung ihre Schleier verbrannten und sich Zigaretten anzündeten, von Männern, die sich öffentlich ihre Bärte abrasieren ließen, und die erleichterten und freudestrahlenden Gesichter von Kindern. Der Kampf für ein freies Minbic war aber auch sehr verlustreich. Große Teile der Stadt wurden zerstört, etwa 300 Kämpferinnen und Kämpfer kamen ums Leben, darunter auch einige Internationalist:innen.

Ethnisches und sprachliches Mosaik

Nach der Befreiung von Minbic standen die QSD vor der Herausforderung, die Bevölkerung innerhalb des politischen Projekts der Selbstverwaltung zu organisieren. Minbic ist ein ethnisches und sprachliches Mosaik, dessen Bevölkerung aus etwa 70 Prozent Araber:innen, 20 Prozent Kurd:innen, fünf Prozent Turkmen:innen und einer kleinen Anzahl von Tscherkess:innen und Armenier:innen besteht. Die Bevölkerungsgruppen wurden jahrzehntelang durch die vom syrischen Regime geförderte stammesorientierte konservative Politik geteilt. Während der Jahre unter der Kontrolle des IS verschärfte sich diese Politik der Spaltung.

Gesellschaftsmodell mit basisdemokratischem Anspruch

Im Herbst 2016 übergab der Militärrat die Verwaltung der Region dem provisorischen Zivilrat von Minbic. Im darauffolgenden März erfolgte die Umbenennung des Zivilrats in die „Legislative der Demokratischen Administration von Minbic“, um sich breiter aufzustellen und die demokratische Legitimation zu erhöhen. Direkt zu Beginn wurde in allen Ämtern eine genderparitätischen Doppelspitze aus einer Frau und einem Mann eingeführt, sodass der Anteil der Frauen in der Verwaltung 50 Prozent beträgt. Die Leitung der Selbstverwaltung besteht aus 132 Personen. Alle gesellschaftlichen Gruppen sind entsprechend ihrer Bevölkerungsanteile darin vertreten. Die Bedeutung von Minbic erklärt sich somit nicht nur durch seine geostrategische Lage im gesamtsyrischen Kontext, sondern auch durch das dort seit August 2016 aufgebaute politische System, das einen sehr hohen demokratischen Anspruch hat und als Modell für ein neues demokratisches Syrien gilt. Durch dieses Gesellschaftsmodell konnte sich ein vertrauensvolles und sicheres Umfeld etablieren, in dem Frauen ihre Rechte erkämpften und nun in allen Bereichen der Verwaltung und des Lebens eine Rolle einnehmen.