„Mala Jin Qamişlo“ – Ein Ort für Frauen
Das Mala Jin, aus dem kurdischen übersetzt „Frauenhaus“, ist vor allem als Frauenberatungszentrum aufgebaut worden. Das erste Mala Jin wurde Anfang 2011 in Qamişlo eröffnet.
Das Mala Jin, aus dem kurdischen übersetzt „Frauenhaus“, ist vor allem als Frauenberatungszentrum aufgebaut worden. Das erste Mala Jin wurde Anfang 2011 in Qamişlo eröffnet.
Das Mala Jin Qamişlo wurde im März 2011 eröffnet. Es war das erste seiner Art. Damals haben sich Frauen die Frage gestellt, wie die Rechte der Frauen verteidigt, Frauen unterstützt werden und sich gegenseitig stärken können. So ist das Mala Jin, aus dem kurdischen übersetzt „Frauenhaus“, entstanden, das vor allem als ein Frauenberatungszentrum aufgebaut wurde. Anfangs gab es viele Herausforderungen wie beispielsweise Gewaltdrohungen gegen die Frauen, die im Mala Jin arbeiteten und wenig finanzielle Ressourcen. Gleichzeitig gab es bei den Frauen in Qamişlo einen großen Bedarf an Unterstützung. Inzwischen ist das Mala Jin als Institution sowie für seine Arbeit bekannt und gesellschaftlich anerkannt.
In Qamişlo gibt es Zentren in den einzelnen Kommunen der Stadt und ein zentrales, regionales Mala Jin. In der Region Cizîrê, in dem der Kanton Qamişlo liegt, gibt es 23 Mala Jin mit ca. 110 Mitarbeiterinnen, zwei der Frauenhäuser sind suryoye (aramäisch/assyrisch/chaldäisch). Um die Zusammenarbeit aller Mala Jin nicht nur in Cizîrê, sondern in ganz Nord- und Ostsyrien zu intensivieren und ein gemeinsames Level zu erreichen, finden alle drei bis vier Monate Koordinationstreffen statt, zu denen aus allen Gebieten Nord- und Ostsyriens Vertreterinnen kommen. Dort wird besprochen, wie die Arbeit, vor allem auch die Bildungsarbeit, läuft, welche Veränderungen und Herausforderungen auftreten und wie die Arbeit der Mala Jin fortgeführt werden kann. Bei den Koordinationstreffen geht es vordringlich um den gemeinsamen Austausch. Die Arbeiten selbst finden in den einzelnen Mala Jin statt. Die Frauen, die im Mala Jin Qamişlo arbeiten, sind Frauen aus der Gesellschaft, keine ausgebildeten Psychologinnen, sondern Frauen, die entweder eine Ausbildung gemacht oder Erfahrungen in der sozialen Arbeit, in der sogenannten Gesellschaftsarbeit haben und die Gemeinden gut kennen. Um sie in ihrer Tätigkeit zu unterstützen, gibt es für sie am Anfang eine Reihe von Bildungsprogrammen und Begleitung durch eine erfahrene Mitarbeiterin des Mala Jin. Alle Mitarbeiterinnen erhalten regelmäßig Fortbildungen zu verschiedenen Themen wie beispielsweise zum Thema Traumatherapie. Diese Fortbildungen werden von Institutionenangeboten, zum Beispiel vom Frauengerechtigkeitsrat, dem Frauenverband Kongra Star oder NGOs, oder von einzelnen Spezialistinnen.
Unterstützung und Beratung durch Mala Jin
Wenn eine Frau Probleme hat und Unterstützung braucht, geht sie zunächst in das zuständige Zentrum in der Kommune, in der sie wohnt. Dort werden die Probleme im Versöhnungskomitee bearbeitet und gemeinsam Lösungen gesucht. Wenn keine Lösung gefunden werden kann, geht der Fall an das Mala Jin Qamişlo. Dort sind alle Frauen, die Unterstützung suchen, willkommen. Egal, ob sie Kurdin, Araberin, Suryoye sind, egal welches Problem, welchen Schmerz, welche Herausforderung sie haben. Mala Jin verstehen sich als Orte der Solidarität und Unterstützung. Die Frauen, die in den Häusern der Frauen arbeiten, setzen sich mit den Hilfesuchenden zusammen, hören ihnen zu, finden heraus, was ihnen auf dem Herzen liegt und versuchen gemeinsam mit den betroffenen Frauen und gegebenenfalls deren Familien, eine Lösung zu finden. Bei Bedarf leiten sie die Frauen auch an andere Institutionen weiter.
Behiya Mûrad, Mutter des Friedens im Mala Jin Qamişlo | Foto: A. Bender
Im Mala Jin erhalten betroffene Frauen Unterstützung und Beratung in ihren individuellen Situationen, seien sie gesundheitlich oder psychologisch bedingt. Viele Frauen, die in das Mala Jin kommen, haben Konflikte mit ihrem Ehemann, sie haben zum Beispiel Gewalt gesehen oder erfahren oder haben Angst, dass ihnen zu Hause Gewalt angetan wird. Wenn sie dann aus ihrem Zuhause fliehen müssen und bei Mala Jin Unterstützung suchen, werden sie in einem Schutzhaus oder woanders untergebracht, bis das Problem gelöst ist. Solche Schutzhäuser wurden in jeder Stadt, jedem Kanton aufgebaut, sowohl für Kurz- als auch für Langzeitaufenthalte, um den Frauen Orte außerhalb ihres Zuhauses bieten zu können. Ziel der Arbeit von Mala Jin ist, dass die Frauen wieder nach Hause zurückkehren können, ohne dass sie dort Gewalt erleben oder sie irgendwelchen Gefahren ausgesetzt sind. Dazu beginnt ein Prozess, in dem mit der betroffenen Frau und ihrem Mann gesprochen wird und Lösungen gesucht werden. Manchmal ist es auch notwendig, die ganze Familie einzubeziehen. Bei Bedarf werden auch Bildungen durchgeführt. Wenn sich alle einig sind, wird ein Abkommen mit dem Mann getroffen. Würde ein Vorschlag nur von einer Seite akzeptiert und von der anderen nicht, käme es nicht zu einer gemeinsamen Übereinkunft und Abschluss. Es ist ein gemeinsamer, dialogischer Aushandlungsprozess, der zu einer Entscheidung führt, die von allen akzeptiert wird und damit auch eine gemeinsame Anerkennung hat. Dieses Abkommen müssen die Frau und der Mann unterschreiben. Damit bestätigen sie die gemeinsam erarbeitete und anerkannte Übereinkunft. Das Mala Jin ist auch nachdem eine Übereinkunft getroffen wurde weiter ansprechbar und bietet weitere Unterstützung an. In den ersten neun Monaten des Jahres 2023 konnten solche Abkommen für ca. 100 Frauen erkämpft werden.
Streitschlichtung in den Mala Jin ist die Möglichkeit, auf gesellschaftlicher Ebene Lösungen zu finden, ohne dass juristische Institutionen involviert werden. Das ist aber nicht immer möglich. Wenn bei Problemen zwischen einer Frau und ihrem Mann er nicht bereit ist, den Weg mitzugehen und über Mediation eine gemeinsame Regelung zu finden, arbeitet das Mala Jin eng mit dem Frauengerechtigkeitsrat zusammen und schreibt einen Bericht mit einer Bewertung und einem Vorschlag an das Gericht, das dann auf dieser Grundlage eine Entscheidung trifft. Während der Verhandlung ist eine Vertreterin des Mala Jin als Unterstützung für die betroffene Frau dabei.
Besondere Herausforderungen gibt es für Frauen, die unter der Besatzung des sogenannten Islamischen Staates (IS) gelebt haben. Sie hatten keine Rechte, haben zum Beispiel gesehen, wie ihre Kinder, Verwandte oder Männer umgebracht wurden. Bilder, die sie immer wieder vor Augen haben, die sie psychisch extrem belasten. Doch durch die gesellschaftlichen Veränderungen in Nord- und Ostsyrien seit der Revolution zeigen sich zunehmend Veränderungen bei den Frauen. Frauen, die unter dem IS immer bis an die Fingerspitzen schwarz gekleidet waren, tragen jetzt häufig bunte Kleidung und werden selbständiger und selbstbewusster. Aber gerade bei ihnen ist die Angst immer noch groß, dass der IS wieder kommen könnte.
Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen der Frauen stärken
Mala Jin bietet nicht nur Unterstützung und Beratung an, sondern auch Bildungsseminare für Frauen. Denn es geht auch darum, das Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen von Frauen zu stärken. Die Themen der Seminare spiegeln die Probleme der Frauen wider. Es geht zum Beispiel um Gewalt an Frauen, Kinderehen, Polygamie, Probleme insbesondere von jungen Frauen und Probleme von Frauen innerhalb der Familien. Ziel der Arbeit des Mala Jin ist es auch, sich auf ideologisch-gesellschaftlicher Ebene kommunikativ mit den Herausforderungen der Frauen und der Gesellschaft auseinanderzusetzen und für soziale Gerechtigkeit und eine demokratische Familienkultur einzutreten. Deshalb geben Mitarbeiterinnen nicht nur im Mala Jin Seminare, sondern auch in Schulen, Akademien, den Kommunen oder anderen Institutionen. Die Bildung der Gesellschaft ist ein wichtiger Teil der Arbeit der Mala Jin, um auch eine mentale Veränderung anzuregen. Grundlage dazu sind die neuen Familiengesetze, in denen es um die Rechte der Frauen und Prinzipien für Frauen sowie für die Familien geht. 2014 wurden die ersten Frauengesetze erarbeitet, 2019 begann deren Überarbeitung. Nach ihrer Fertigstellung wurden sie in der Region Cizîrê als Familiengesetze eingeführt, in den anderen Regionen Nord- und Ostsyriens ist die Einführung in Vorbereitung. Auf Grundlage dieser Gesetze arbeiten die verschiedenen Institutionen und Frauengremien.
Die Mala Jin sind auf überregionaler Ebene in gesellschaftspolitischen Institutionen vertreten. Sie entsenden aus jeder Region bzw. jedem Kanton gewählte Vertreterinnen als Sprecherinnen zum Beispiel in den Volksrat, den Gerechtigkeitsrat, Kongra Star und den von arabischen Frauen gegründeten Verband Zenobiya, die sich über Themen, Veränderungen und Herausforderungen der Gesellschaft austauschen, gemeinsame Bewertungen abgeben und ihre Erfahrungen und Forderungen in neue Gesetze einbringen, wie die Familiengesetze oder den neuen Gesellschaftsvertrag. Die Vertreterinnen der Mala Jin haben Erfahrung aus der täglichen, praktischen Arbeit, sie geben aus den Perspektiven der Mala Jin Einschätzungen in den Räten ab und tragen darüber zur Entwicklung und Festigung der Frauenrevolution bei. Darüber hinaus tragen sie die Perspektiven aus den Räten zurück in die lokalen Mala Jin.
Es ist der Wunsch der Vertreterinnen des Mala Jin Qamişlo, die Gesellschaft zu stärken und weiter auszubauen. Aber es gibt verschiedene Faktoren, die versuchen, dem entgegenzuwirken. Ein Faktor ist das Problem eines spezifischen demografischen Wandels in Nord- und Ostsyrien. Das heißt, es wird gezielt versucht, die Gesellschaft zu zerstören, zum Beispiel durch den Drohnenkrieg der Türkei und durch Embargos, mit denen die regionale Wirtschaft destabilisiert und abhängig gemacht werden soll, damit die Menschen vor Ort keine Perspektive mehr sehen und Nord- und Ostsyrien verlassen, um in andere, z.B. europäische Länder zu fliehen. Das betrifft vor allem junge Menschen, aber auch Fachleute wie Ärztinnen und Ärzte.
Frauen im Visier unterdrückerischer Staaten
Ein anderer Faktor sind die politischen Feminizide. Vor der Revolution von 2012 waren Frauen wenig gesellschaftlich beteiligt, gerade auch in politischen Bereichen. Durch die Revolution hat sich das verändert, Frauen sind jetzt in allen Lebensbereichen aktiv, zum Beispiel als Ko-Vorsitzende, nehmen Vorreiterinnenrollen ein, sind in Institutionen und der Frauenbewegung aktiv. Das wollen aber unterdrückerische Staaten wie die Türkei nicht zulassen und ermorden deshalb gezielt Frauen. Frauen und von ihnen aufgebaute Strukturen werden gezielt angegriffen, um ihren Willen zu brechen. Jedoch werden Frauen in ihrer Organisierung immer stärker und wollen das nicht zulassen. Es ist für die Frauen im Mala Jin Qamişlo unverständlich, wie es beispielsweise Länder wie Deutschland zulassen, dass Waffen an unterdrückerische Staaten wie die Türkei geliefert werden und damit für die Ermordung von Frauen und anderen Mitgliedern der politischen, militärischen und gesellschaftlichen Strukturen mitverantwortlich sind. Während die Gesellschaft Nord- und Ostsyriens zum Beispiel Kinder von IS-Angehörigen unterstützt, sich um sie kümmert und eine menschliche Annäherung sucht, wird die Gesellschaft gezielt angegriffen, aber in Deutschland erheben sich keine Stimmen gegen die deutsche (Türkei-)Politik. Als Frauen und als Mütter geht es den Mitarbeiterinnen vom Mala Jin Qamişlo um Frieden. Sie sehen sich als Mütter des Friedens und fordern ein Ende des Drohnenkrieges bzw. jedweden Krieges gegen Nord- und Ostsyrien und der Tötungen in ganz Syrien.