Stêrk: Damit die Kinder Kind sein können

Die zivilgesellschaftliche Organisation Stêrk setzt sich in der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien für Kinderrechte ein. Mit kommunal verankerten Projekten werden Kinder und das gesellschaftliche Bewusstsein für ihre Rechte gestärkt.

Stêrk wurde als zivilgesellschaftliche Organisation zur Beobachtung, zum Schutz und zur Verteidigung der Rechte von Kindern vor einem Jahr in Nord- und Ostsyrien gegründet. Mit ihren 16 Mitarbeiter:innen und 14 freiwilligen Helfer:innen ist sie an verschiedenen Orten u.a. Şehba, Qamişlo, Hesekê, Dêrik, Amûdê und in Geflüchtetencamps wie Waşokanî und Camp Serêkaniyê innerhalb der selbstverwalteten Region Nord- und Ostsyriens vertreten. Der Namen Stêrk kommt aus dem Kurdischen und bedeutet Stern.

Als Organisation zur Bewahrung der Kinderrechte hat sich Stêrk zur Aufgabe gesetzt, die Rechte der Kinder zu schützen. Mit dem Ziel, Kindern von klein auf bis ins 18. Lebensalter hinein ein kindgerechtes Leben zu ermöglichen, hat Stêrk verschiedene Projekte für Kinder in der Region entwickelt. In Zusammenarbeit mit Eltern und Familien sowie dem erweiterten Umfeld wird die Gesellschaft über die Rechte von Kindern aufgeklärt. Mit ihrer Arbeit hofft die Organisation Stêrk darauf, die Situation der Kinder zu verbessern und ihre Rechte zu stärken.

Projekte für Kinderrechte kannte man in der Gesellschaft nicht“

Es gibt eine Vielzahl an Projekten, die von der Organisation Stêrk angestoßen wurden. Neben Projekten im Bildungsbereich sowie Theater-, Kunst- und Kulturprogrammen organisiert Stêrk verschiedene Projekte zur Unterstützung von Kindern in schwierigen Lebenssituation sowie Freizeitangebote und Kindergruppen innerhalb der Kommunen in Nord- und Ostsyrien. Dafür musste Stêrk zu Beginn ihre Arbeit und die Ziele der Organisation innerhalb der Gesellschaft bekannt machen und sich etablieren. Rojda Xelîl, Leiterin des Zentrums von Stêrk in Qamişlo, berichtet über die Anfänge und den Aufbau der Arbeiten von Stêrk:

„Es war ein wirklich wichtiger Schritt nach vorne, denn innerhalb der Gesellschaft kannte man solche Projekte zur Verteidigung der Rechte von Kindern nicht. Daher war es anfänglich etwas schwierig, weil unserer Arbeit von den Menschen mit Zurückhaltung und Unwissenheit begegnet wurde. Schritt für Schritt konnten wir das Thema der Gesellschaft über die Kommunen und die Familien näher bringen. Um den Kindern eine vertraute Atmosphäre zu schaffen, haben wir unsere Arbeit damit begonnen, Kindergruppen in den Kommunen aufzubauen. In jedem Stadtviertel gibt es Kommunen und innerhalb jeder Kommune gibt es Kinder. Wie haben wir also die Kindergruppen gegründet? Wir haben zuerst die Familien und Eltern der Kinder besucht, sie kennen gelernt und von uns sowie unserer Arbeit erzählt. Damit haben wir eine Grundlage geschaffen, dass die Kinder zu den Kindergruppen kommen. Mit und in den Kindergruppen organisieren wir verschiedene Aktivitäten, die wir zusammen unternehmen. Es gibt Bildungsprogramme für die Kinder oder wir spielen gemeinsam mit ihnen, gehen schwimmen, machen zusammen Sport oder Musik. Alles Aktivitäten, die einerseits zu ihrem Vergnügen beitragen und andererseits die Kinder aus den alltäglichen Situationen herausholen.“

Auf Augenhöhe mit den Kindern

Über diesen Weg etablierte Stêrk ihre Arbeit zum Schutz der Kinder und ihrer Rechte in der gesamten Gesellschaft. Durch ihre aktive Arbeit mit den Kindern, in den Kommunen und mit den Familien bekommen immer mehr Menschen von der Organisation und ihrem Wirken mit. Mittlerweile kommen betroffene Familien oder Kommunen mit ihren Frage und Anliegen selber auf Stêrk zu, um dort Unterstützung für die Kinder zu finden. Dabei legen die Mitarbeiter:innen bei Stêrk einen großen Wert darauf, dass sie auf Augenhöhe mit den Kindern arbeiten, sie und ihre Umstände kennen lernen, eine Beziehung zueinander aufbauen und dadurch verstehen, was gebraucht wird oder wie sie unterstützen können. „Wenn Kinder behandelt werden, ohne dass sie genau nachvollziehen können, was mit ihnen passiert oder wieso, wehren sie sich dagegen. Wenn man ihnen allerdings erklärt, was los ist, dass sie akzeptiert und geliebt werden, sind sie aufgeschlossener und kommen sogar selbst auf einen zu.“, erzählt Rojda Xelîl aus ihren Erfahrungen.

Einige der aufgebauten Kindergruppen in den Kommunen werden mittlerweile von den Kindern selbst organisiert und begleitet. Indem sie sich gegenseitig bilden und voneinander lernen, stärken sie sowohl das Vertrauen untereinander als auch in sich selbst.

An das Familienministerium angebundener Kinderrat gegründet

Durch die Etablierung ihrer Organisation konnte Stêrk ihre Projekte ausweiten. Mit ihren vielfältigen Angeboten und Programmen unterstützen sie Kinder mit psychologischen Schwierigkeiten und Kinder, deren Lebenssituation sehr schwer sind, da sie beispielsweise alleine leben oder Gewalt erlebt haben. In solchen Fällen gibt es eine enge Zusammenarbeit mit den lokalen Verwaltungen und Schutzräumen zur Unterbringung von Kindern. Zusammen mit verschiedenen Organisationen hat Stêrk einen Rat gegründet, der an das Familienministerium der Autonomen Administration Nord- und Ostsyriens (AANES) angebunden ist. Dort wird gemeinsam über die Situation der Kinder und ihrer Rechte diskutiert. Es werden Lösungen erarbeitet, wie Kinder aus schwierigen Situationen herausgeholt werden können und ihnen ein normales Leben ermöglicht werden kann. Aktuell wird von der Autonomen Administration auch an den Kinderschutzgesetzen in der Region gearbeitet. An der Ausarbeitung sind verschiedene Organisationen wie die lokalen Verwaltungen und Verbände für Menschen- und Kinderrechte, darunter auch Stêrk, beteiligt.

Gesundheitliche Unterstützung für kranke und kriegsversehrte Kinder

Eine weitere wichtige Hilfe leistet Stêrk für ärmere Familien, wenn ihre Kinder beispielsweise dringende gesundheitliche Hilfe benötigen. Manche Kinder brauchen zum Beispiel eine notwendige Operation am Herzen, an den Augen oder der Lunge, was sich die Familien alleine nicht leisten können. In diesen Fällen versucht Stêrk sie an Organisationen zu vermitteln, die die Kosten für die Operation übernehmen. Darüber hinaus hat Stêrk gemeinsam mit der kurdischen Rothalbmondorganisation Heyva Sor a Kurd in der Stadt Qamişlo ein Projekt für Prothesen für Kinder entwickelt, die bei Angriffen schwer verletzt wurden und Gliedmaßen verloren haben. Vor allem Kindern aus weiter entfernten Orten wie Şehba sollen damit unterstützt werden, da es nicht überall Möglichkeiten zur Behandlung gibt. Für die Kinder wird ein mehrtägiger Aufenthalt in Qamişlo organisiert. Während des Aufenthalts soll genügend Zeit sein, die Prothese gut anzupassen sowie den Kindern eine Eingewöhnung an die Veränderung zu ermöglichen. Neben der Fertigung und Anpassung der Prothese wird den Kindern auch eine psychologische Betreuung angeboten, um ihr Selbstvertrauen zu stärken. Durch gemeinsame und vielfältige Aktivitäten soll ihnen ein Rahmen gegeben werden, in dem sie Vertrauen gewinnen und sich mit der neuen Situation auseinandersetzen können. Bisher wurden Berichten von Stêrk zufolge dadurch sechs Kinder unterstützt.

Die Angriffe des türkischen Staates haben tiefe Spuren hinterlassen

Der jahrelange Krieg des türkischen Staates in Zusammenarbeit mit seinen dschihadistischen Proxykräften gegen die Region der Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens hat vielen Menschen das Leben gekostet und viele weitere schwer verletzt. Die zahlreichen Kriegsverbrechen, die der türkische Staat mit seinen gezielten Angriffen gegen zivile Einrichtungen und die Bevölkerung der Region bis heute begeht, hinterlassen tiefe Spuren nicht nur im Leben aller Menschen in der Region, sondern vor allem auch bei den Kindern. Laut einem Bericht des Zentrums zur Forschung, Förderung und Verteidigung von Frauenrechten in Qamişlo wurden seit 2018 bis 2023 in den türkisch besetzten Gebieten Efrîn sowie der Region zwischen Serêkaniyê und Girê Spî 139 Kinder ermordet, 305 Kinder verletzt und 84 Kinder sind verschwunden.

Zwei Millionen Menschen von der Grundversorgung abgeschnitten

Nicht zuletzt die erneute Eskalation der Angriffe seitens des türkischen Staates am 5. Oktober 2023 und den darauf folgenden Tagen mit 580 Luft- und Bodenangriffen haben durch die gezielte Zerstörung lebensnotwendiger Infrastruktur mehr als zwei Millionen Menschen von der Grundversorgung abgeschnitten und in weiten Teilen Nordostsyriens die Energieinfrastruktur zerstört. Bei den Angriffen wurden laut des Rojava Information Centers 48 Schulen beschädigt und Tausende Kinder können aktuell nicht lernen. Auch hier sieht Stêrk ihre politische Aufgabe, diese Situation und die Lebensbedingungen der Kinder international sichtbar zu machen und für ihre Rechte einzustehen. Mittels Erklärungen und Briefen an internationale Organisationen und Institutionen versucht Stêrk, auf die kontinuierlichen Angriffe des türkischen Staates sowie die Gewalt und Übergriffe auf Kinder in den türkisch besetzten Gebieten aufmerksam zu machen. Diese sollen die Organisationen dazu bewegen, gemäß des internationalen Kinderschutzgesetzes Verantwortung gegen diese Angriffe zu übernehmen und sich für die Rechte der Kinder in der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien stark zu machen.