Kämpfer der Chabur-Wachen in Til Temir gefallen
Bei einem Angriff der Türkei und verbündeten Dschihadistenmilizen auf den Nordosten von Syrien ist ein Kämpfer der assyrischen „Chabur-Wachen“ ums Leben gekommen.
Bei einem Angriff der Türkei und verbündeten Dschihadistenmilizen auf den Nordosten von Syrien ist ein Kämpfer der assyrischen „Chabur-Wachen“ ums Leben gekommen.
Im Nordosten von Syrien ist ein Kämpfer der assyrischen Chabur-Wachen durch türkischen Artilleriebeschuss ums Leben gekommen. Das teilte das Medien- und Kommunikationszentrum der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) mit. Bei dem Gefallenen handelt es sich um Zia Tal Tamir. Der tödliche Angriff ereignete sich demnach an Ostersonntag im Dorf Tall Schanan (auch Til Shanan) nahe der Stadt Til Temir.
Etwa zeitgleich waren auch die nahegelegenen Ortschaften al-Dardara und Qubour al-Qarajneh von der türkischen Armee und dschihadistischen Hilfstruppen unter Beschuss gesetzt worden, es wurde Sachschaden gemeldet. Einige der aus der rund fünf Kilometer entfernten Besatzungszone abgefeuerten Granaten schlugen im direkten Umland einer russischen Basis im Norden der Stadt ein.
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— Farhad Shami (@farhad_shami) April 17, 2022
Seit Tagen befindet sich die christlich geprägte Kleinstadt Til Temir wieder unter Dauerbeschuss. Am Wochenende waren die Dörfer Tawila und Til Tawil unter massives Feuer genommen worden. Vor allem in Til Tawil, dessen historischer Name Bnay Roumta lautet, hat die Bevölkerung massive Schäden zu beklagen. Von mehreren Häusern sind infolge der Bombardierungen nur noch Trümmer übrig, auch die Mauer vor der Dorfkirche weist Schäden auf.
Christlich geprägte Region
Entlang des Chabur-Tals im Nordosten Syriens erstreckt sich der Fluss Chabur. Hier, wo die Stadt Til Temir (kurdischer Name: Girê Xurma), ein Spiegelbild des Bevölkerungsmosaiks Syrien liegt, ließen sich 1933 die Nestorianer:innen – Assyrer:innen aus Colemêrg (tr. Hakkari) –, die während des Genozids an den christlichen Völkern im Osmanischen Reich zwischen 1914 und 1918 in den Nordirak geflohen waren, nieder. Das Siedlungsgebiet bekamen sie vom Völkerbund in Genf zugesprochen. Ihrem zweiten Exodus ging das Massaker von Simele voraus: etwa 9.000 Assyrer:innen, hauptsächlich Männer und Jugendliche, wurden in verschiedenen Dörfern in der Region Dihok ermordet. Das besonders betroffene Dorf Simele wurde Namensgeber dieses Genozids. Dort starben unter der Führung des irakischen Militärs etwa 350 Menschen.
Im flachen Tal des Chabur gründeten die Assyrer:innen aus Colemêrg 33 Dörfer, die chaldäische Gemeinschaft ließ sich in weiteren drei Dörfern nieder. Vor Kriegsbeginn 2011 lebten hier noch etwa 20.000 Assyrer:innen, in fast jeder Ortschaft gab es eine Kirche. Jetzt sind keine 1.000 Menschen mehr übrig. Wegen der Dschihadisten flohen fast alle Bewohner:innen ins Ausland, die meisten gingen nach Kanada, Australien oder in die USA. Einige der Dörfer sind völlig leer, die Gebliebenen sind meist ältere Leute. Auch leben inzwischen Binnenvertriebene aus anderen Regionen des Landes in Til Temir.
Seit der am 9. Oktober 2019 gestarteten Invasion des türkischen Staates sind bereits mehr als dreißig Dörfer vor Til Temir besetzt worden. Zu Angriffen in der Region kommt es nahezu täglich, Phasen mit hoher Intensität wechseln sich mit Phasen niedriger Intensität ab. 27 Dörfer im Chabur-Tal liegen direkt an der Frontlinie, fünf aller assyrischer Dörfer in der Region wurden durch die Kriegshandlungen der Türkei bereits entvölkert. Zahlreiche Menschen sind bei den Angriffen getötet worden, Dutzende wurden verletzt. Die in Til Temir stationierten syrischen Truppen und die russischen Militärs erfüllen ihre Funktion zur Einhaltung des Deeskalations- und Waffenstillstandabkommens nicht.