Die assyrischen „Wächter des Chabur“ sehen in der gesteigerten Aggression der Türkei gegen die Autonomiegebiete von Nord- und Ostsyrien eine „Fortsetzung des IS-Terrors“. Insbesondere die Angriffe gegen die hauptsächlich christlich besiedelte Kleinstadt Til Temir im Chabur-Tal stünden den Massakern von 2015 in nichts nach, mahnte der Rat der Chabur-Wächter am Sonntag.
„In den letzten Tagen hat die genozidale Aggression des türkischen Staates und unter seiner Kontrolle stehender Besatzungsmilizen eine neue Stufe erreicht. Bei brutalen Angriffen in verschiedenen Regionen Nord- und Ostsyriens, die sich unter anderem gegen den Militärrat von Til Temir richteten, sind mehrere Menschen gefallen. Durch diese Angriffe ist zudem der Exodus der Zivilbevölkerung vorangetrieben worden. Die Attacken auf das Chabur-Tal enden häufig in Massakern, die die Gräueltaten des IS von 2015 in den Schatten stellen. Dennoch kommt es auch weiterhin nicht zu internationalen Reaktionen oder Handlungen der Garantiemächte“, so der Rat der Chabur-Wächter. Dies sei beschämend.
Erst am Donnerstag waren bei einem gezielten Drohnenanschlag der Türkei auf das Kommunikationszentrum des Militärrats von Til Temir vier Mitglieder der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) ums Leben gekommen. Bei den Gefallenen handelt es sich um Sosin Bîrhat, die den Militärräten der QSD und der Frauenverteidigungseinheiten YPJ angehörte, den Kommandanten des Militärrats von Til Temir, Egîd Girkêlegê, sowie die Militärratskämpfer Rûbar Hesekê und Seyfullah Ehmed. Anfang der Woche wurde ein Umspannwerk in der Stadt angegriffen, einen Tag zuvor wurde eine 30-jährige Zivilistin im Dorf Til Shanan von einer türkischen Granate verletzt. Täglich schlägt in den Dörfern des Chabur-Tals Artillerie der türkisch-dschihadistischen Besatzungstruppen ein und zerstört gezielt die Infrastruktur in Siedlungsgebieten. Zu Ablehnung stoßen diese Angriffe im sogenannten Westen offenbar nicht.
Die Verteidiger:innen des Chabur-Tals dagegen haben nicht vor, ihre Heimat aufzugeben. „Als die Wächterinnen und Wächter des Chaburs sind wir entschlossen, unser Volk und die gesamte Region gegen den Terror zu verteidigen. So wie wir bereits einen Widerstand von historischem Ausmaß gegen den IS geleistet haben, werden wir uns auch gegen die Angriffe des türkischen Staates stellen. Wir werden den Invasoren nicht erlauben, über unser heiliges Land herzufallen. Der Boden unserer Heimat ist durchtränkt mit dem Blut der Gefallenen. Unsere Verbundenheit zu ihnen ist unendlich“, heißt es in der Stellungnahme. Den Angehörigen der QSD-Gefallenen sprechen die Chabur-Wächter ihr Mitgefühl aus. „Wir versprechen ihnen, den Weg der Gefallenen bis zum Sieg zu betreiten.“
Dreißig Dörfer vor Til Temir von der Türkei besetzt
Til Temir war 2014 immer wieder von der Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) attackiert worden. Im Februar des darauffolgenden Jahres erreichte der Terror seinen Höhepunkt, als mehrere Dörfer im Tal überrannt und hunderte Menschen verschleppt wurden. Der IS tötete auch dutzende seiner Geiseln, um den enormen Lösegeldforderungen Nachdruck zu verleihen. Im Zuge des Angriffskrieges letzten wurde Til Temir ebenfalls schwer angegriffen. Seit der am 9. Oktober 2019 gestarteten Invasion des türkischen Staates sind dreißig Dörfer vor Til Temir besetzt worden. Die Angriffe gehen weiter und 27 Dörfer liegen direkt an der Frontlinie. Zahlreiche Menschen sind bei den Angriffen getötet worden, Dutzende wurden verletzt. Seit knapp zwei Jahren stehen die Stadt und umliegende Dörfer unter Dauerbeschuss der dschihadistischen Söldner des türkischen Staates. Die in Til Temir stationierten syrischen Truppen und die russischen Militärs erfüllen ihre Funktion gegen die Angriffe nicht.