Girê Spî – Vier Jahre nach der Befreiung

Seit der Befreiung von Girê Spî durch die YPG/YPJ sind vier Jahre vergangen. Seitdem wurde in der Region ein gemeinsames Leben der unterschiedlichen Ethnien und Identitäten aufgebaut.

Seit der Befreiung von Girê Spî (arabisch: Tall Abyad) durch die Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG und YPJ sind vier Jahre vergangen. Die Befreiung der vom IS besetzten Stadt wurde zu einem Wendepunkt im Syrienkrieg. Da sich insbesondere der türkische Staat nicht mit der Befreiung der Stadt abfinden konnte, hat er den Krieg gegen die Menschen von Nord- und Ostsyrien damals auf ein höheres Niveau gehoben. Als ANF wollen wir im Gedenken an den Jahrestag der Befreiung unseren Fokus auf diese Stadt legen.

Der Name der Stadt geht auf einen historischen Hügel zurück, an dem die Ortschaft in den 20er Jahren erbaut wurde. Es hatte sich zuvor um eine von Dörfern verschiedener Größe geprägte Region gehandelt. Während des Machtkampfes der Franzosen wurden die Dörfer allmählich zu einer Gemeinde. Diese Gemeinde war verwaltungstechnisch an Raqqa angebunden und stellte einen Zufluchtsort für Armenier dar, die den Genozid überlebt hatten.

Das Baath-Regime kommt an die Macht

Nach dem Rückzug der Franzosen aus Syrien zogen es viele armenische Familien vor, die Gemeinde zu verlassen. Mit der Machtübernahme durch das Baath-Regime wurde die Politik des „arabischen Gürtels“ in der Region umgesetzt und viele arabische Dörfer errichtet, um die kurdischen Regionen Cizîre und Kobanê voneinander zu trennen. Dies war allerdings nur der Anfang einer schweren Zeit für die Kurden. Da ihnen die Staatsbürgerschaft entzogen worden war, mussten viele ihren Besitz über arabische oder turkmenische Nachbarn eintragen. Als sich die Politik des arabischen Gürtels noch verschärfte, mussten viele Kurdinnen und Kurden aus der Region fliehen.

Die einflussreichen Stämme der Region

Während der Zeit der Franzosen siedelten sich neben Armeniern und Kurden arabische Familien aus dem Stamm der Begara in der Region an. Ein großer Teil des Stammes arbeitete für das französische Heer. Jetzt leben in al-Djes, Abu Asaf, Begara, Hinada, Afedle, Nihem, Welda, Tobal, Aladini, Shechi, Şedadî, Asî, Qurubegî, Elîzerî, Ox und Zoncikî viele verschiedene arabische, kurdische und turkmenische Stämme.

Jahrhunderte alte Geschichte

Im Gedächtnis der Bevölkerung wird die Geschichte der Region folgendermaßen erzählt: Vor 300 bis 400 Jahren gab es hier keine Siedlungen. Sie wurde nur als Weideland von kurdischen, arabischen und turkmenischen Stämmen genutzt. Ursprünglich sei die Region das Weideland der kurdischen Stämme Milan und Berazan gewesen. Gleichzeitig handelte es sich um eine Grenzregion. Nach mündlicher Überlieferung war Silûk bei Girê Spî der Ort des Aufstands des Milan-Stammes gegen die Osmanen. Der ezidische Held Derwêşê Evdî soll hier dem Stamm der Milan zu Hilfe gekommen sein und zusammen mit elf Freunden den Osmanen einen heftigen Kampf geliefert haben.

Die Herrschaft des IS

So wie die osmanischen Paschas vor Jahrhunderten den Anführern des Milan-Stammes sagten: „Wenn ihr euch nicht ergebt, sind eure Häuser, euer Besitz und eure Ehre unser“, wiederholte sich die Geschichte vor fünf Jahren mit der Besetzung durch den sogenannten Islamischen Staat (IS). Die erste Organisierung des IS in Syrien tauchte dort auf. Als sich die FSA und al-Nusra dem IS anschlossen, begann die Fahne der Finsternis über Girê Spî zu wehen.

Plünderung und ethnische Säuberung

Als der IS Girê Spî beherrschte, öffnete die Türkei ihre Grenze und der Handel zwischen IS und Türkei fand über Girê Spî statt. Über den Grenzübergang Akçakale kamen täglich Waffen, Handelsgüter und Munition aus der Türkei an. Die Kurden in der Stadt wurden gefoltert, misshandelt und unterdrückt und verließen die Region nach Kobanê oder Serêkaniyê. Girê Spî war der Ort mit der höchsten strategischen Bedeutung für den IS, denn hierüber konnte er Öl und andere Ressourcen in die Türkei verkaufen und sich selbst logistisch aufrüsten.

Die Befreiung von Girê Spî

Auch für die am 15. September 2014 begonnenen Angriffe auf Kobanê stellte Girê Spî die logistische Ausgangsbasis dar. Der türkische Regimechef Erdoğan hatte damals erklärt: „Kobanê ist bereits gefallen.“ Der Generalkommandant des Volksverteidigungszentrums, Murat Karayılan, entgegnete darauf: „Kobanê wird nicht fallen, aber der IS wird in Girê Spî besiegt werden.“ Nach der Befreiung von Kobanê am 26. Januar 2015 folgten die Kämpfer*innen von YPG und YPJ dem Aufruf der Menschen aus Girê Spî und befreiten die Stadt am 15. Juni 2015. Damit war die erste Stadt, in der der IS seine Fahne gehisst hatte, zur ersten Stadt geworden, die von der Herrschaft des IS befreit wurde.