Sabri Mustafa ist Kurde aus der demokratisch-autonomen Selbstverwaltung von Girê Spî (Tall Abyad). Es handelt sich um ein Gebiet, in dem die kurdische Bevölkerung unter dem Baath-Regime, den sogenannten FSA-Milizen und dem IS als Freiwild galt. Trotz alledem hat er die Region, in der er aufgewachsen ist, niemals aufgegeben und engagierte sich sofort nach der Befreiung der Stadt für den Wiederaufbau des Lebens dort. Jetzt arbeitet er, den Drohungen der Türkei zum Trotz, unermüdlich weiter.
Sabri Mustafa berichtet über die Ereignisse in Girê Spî und die Drohungen des türkischen Staates:
Die Zeit unter der baathistischen Herrschaft war schwer
Ich komme aus dem Dorf Tell Findire im Westen von Girê Spî. Vor der Revolution von Rojava lebte ich im Stadtzentrum von Girê Spî. Das Regime hatte die Bevölkerung dort in viele Gruppen gespalten. Es gab kein einziges auf einen Kurden registriertes Stück Land oder Haus. Die Bevölkerung dort war arm, die Mehrheit reiste immer wieder in den Libanon oder nach Damaskus und arbeitete dort. Bei der Rückkehr wurde man sofort verhört. Wir mussten zum Militärdienst, dort war es verboten, Kurdisch zu sprechen. In den staatlichen Einrichtungen war es ebenfalls so.
Die Zeit unter den sogenannten FSA-Milizen
Dann begann der arabische Frühling. Das Regime zog sich zurück und es wurden ganze 106 bewaffnete Gruppen gegründet. Wir hatten damals als Kurd*innen aus Girê Spî auch eine kleine Einheit gebildet und ihr den Namen Jabhat al-Akrad (kurdische Front) gegeben. Wir haben ein Volkshaus und Räte gegründet. Kurden, Araber, Turkmenen, alle Völker trugen zur Stadtverwaltung bei. 2012 ging Girê Spî an die sogenannte FSA. Sie haben alle Getreidespeicher und Felder besetzt. Viele Orte wurden niedergerissen, geplündert und beraubt. Der Emir von Jabhat al-Nusra, Abu Moshab, sagte, als wir ihn auf geraubte Wasserpumpen ansprachen: „Als Kurden gibt es hier gar nichts für euch. Das ist nicht euer Land.“
Sie haben die Kurden angegriffen und wurden zum IS
Zwischen Jabhat al-Nusra und sogenannter FSA auf der einen Seite und uns auf der anderen brach am 19. Juli 2013 der Krieg aus. Alle griffen gemeinsam die Jabhat al-Akrad an. Wir als Kurdinnen und Kurden waren gezwungen zu fliehen. Die Bevölkerung floh in die Dörfer auf der anderen Seite des Flusses. Innerhalb von zwei Tagen erklärten sich alle Milizen in Girê Spî für den IS. Als sie Kobanê angriffen, gab es keine Kurd*innen mehr in Girê Spî. Sie waren alle geflohen.
Ich konnte den Tag der Befreiung erleben
Die Operation zur Befreiung von Girê Spî begann 2015. Sie dauerte nicht lange. Am 16. Juni 2015 war Girê Spî frei. Ich konnte den Tag der Befreiung erleben. Nichts war mehr übrig, alles geplündert. Wir haben sofort begonnen, für die Deckung des alltäglichen Bedarfs zu arbeiten. Es ging zunächst einmal darum Brot, Wasser und Gesundheitsversorgung sicherzustellen. Die gesamte vom IS unterdrückte Bevölkerung beteiligte sich sofort.
Die arabische Bevölkerung hat unsere Arbeit gesehen und sich beteiligt
Zur gleichen Zeit verbreiteten die türkische Presse wie auch die türkischen Agenten in Girê Spî: „Die Kurden sind gekommen, sie werden die Araber unterdrücken.“ Aber wir haben unseren Rat und den Rat der Stämme gegründet. Die Bevölkerung sah, wie gearbeitet wurde und dass ein gerechter Umgang herrscht und hat sich noch intensiver beteiligt. An der demokratisch-autonomen Selbstverwaltung beteiligten sich die kurdische, arabische, turkmenische, armenische Bevölkerung und alle anderen Völker der Region gemeinsam. Alle Institutionen arbeiten auf diese Weise.
Erneuter Angriff
Jabhat al-Nusra, der IS, die anderen Milizen und der türkische Staat haben die Befreiung von Girê Spî und die Rückkehr der kurdischen Bevölkerung niemals verdaut. Sie haben einen permanenten Spezialkrieg geführt und Druck aufgebaut. Der IS griff Girê Spî am 27. Februar 2016 erneut an. Ein Teil der Angreifer kam aus der Türkei, ein Teil aus Raqqa. Die erste Gruppe sollte einige Stellungen einnehmen, die andere über die Grenze kommen und die Region erneut besetzen. Aber sie trafen auf Widerstand und ihr Angriff scheiterte. Die gesamte Bevölkerung kämpfte und stellte sich gegen sie.
Wir bestimmen uns Schicksal selbst
Nun haben sie Girê Spî erneut auf die Tagesordnung gesetzt und erklärt: „Wir werden eine Operation durchführen und die Region vom Terror säubern.“ Was wollen sie säubern? Das ist unser Land, und seine Verwaltung liegt in unseren Händen. Wir verwalten uns selbst. Gehen wir denn zu Erdoğan nach Hause und greifen an oder warum will er uns angreifen? Wir werden unser Land bis zum letzten verteidigen. Die Völker von Girê Spî sind heute, morgen und immer bereit, ihren Boden und ihre Zukunft gegen eine türkische Invasion zu verteidigen.
In Girê Spî leben Armenier*innen, Suryoye, Kurd*innen und Araber*innen zusammen. So wie sie zusammenleben, arbeiten sie zusammen, regieren gemeinsam und versorgen sich selbst. So überwinden sie die Erschwernisse.
Niemand darf über das Schicksal der Bevölkerung Nordsyriens entscheiden. Wir entscheiden selbst über unser Schicksal. Wir bestimmen unser Leben und unsere Zukunft und bauen unser System auf. Niemand kann von uns behaupten, wir könnten das nicht. Wir werden gegen jede Unterdrückung und jeden Angriff Widerstand leisten und unser Leben verteidigen.