Gemeindewahlen in Rojava: Lokale Selbstverwaltung stärken

In Nord- und Ostsyrien werden im Juni Gemeinderäte gewählt, um die Selbstverwaltung auf lokaler Ebene zu stärken. Kurdische und arabische Frauenverbände haben eigene Kriterien für Basisdemokratie aufgestellt.

Basisdemokratie aus Frauenperspektive

In der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien werden am 11. Juni Kommunalwahlen durchgeführt. Die Frauenverbände Kongra Star und Zenobiya bereiten sich seit geraumer Zeit auf die Wahlen vor und haben ihre Kriterien vor einigen Tagen in Hesekê vorgestellt. Basierend auf der neuen Fassung des von der Demokratischen Selbstverwaltung (DAANES) im Dezember 2023 verabschiedeten Gesellschaftsvertrags werden in Nord- und Ostsyrien im nächsten Monat Gemeinderäte und Ko-Bürgermeister:innen gewählt. Dabei gilt das Prinzip der genderparitätischen Doppelspitze, die Bürgermeisterämter werden mit jeweils einer Frau und einem Mann besetzt. Wie Kongra Star und Zenobiya bei der Vorstellung ihrer Wahldeklaration mitteilten, sind die Kandidatinnen in 133 Orten in Vorwahlen festgelegt worden.


Den eigenen Lebensraum selbst gestalten

Der aus der kurdischen Frauenbewegung hervorgegangen Verband Kongra Star und die nach der Befreiung der überwiegend arabisch besiedelten Regionen Minbic, Tabqa, Raqqa und Deir ez-Zor von Araberinnen gegründete Frauenunion Zenobiya betrachten die Wahlen als wichtigen Schritt für die lokale Selbstverwaltung und den Aufbau demokratischer Strukturen. „Als Frauen waren wir an jeder Phase des gesellschaftlichen Aufbaus beteiligt und werden auch in den lokalen Verwaltungen eine führende Rolle spielen“, kündigten die Verbände an und erklärten weiter:

„Eine einseitige und monopolistische Lokalpolitik hat große Auswirkungen auf Frauen und Kinder. Sie werden von Dienstleistungen ausgeschlossen. Ob im Haus oder in der Öffentlichkeit, regionale Politik beeinflusst, was für ein Leben wir leben und von welchen Dienstleistungen wir profitieren. Die Planung eines Ortes, der Umgebung, der Parks, Grünflächen, der Straßenbeleuchtung, der Angebote in der Muttersprache und der Mobilität sind gebunden an Politik und ihre Umsetzung, d.h. wer Zugang hat zu Ressourcen und die Entscheidung, wer was wofür verwenden kann, beeinflussen und prägen unser Leben. Deshalb wissen wir, dass wir unser Leben und den Ort, an dem wir leben, umso besser gestalten können, je mehr wir uns am Entscheidungsprozess beteiligen und die regionale Politik mitbestimmen.“

Autonome Organisierung in allen Bereichen

Die Frauenverbände betonten, dass eine Stärkung der lokalen Selbstverwaltung großes Engagement voraussetzt. Um das gesellschaftliche Leben auf Grundlage von Freiheit und Gleichheit zu gestalten, zu schützen und aufrechtzuerhalten, wollen die Frauen sich einem breiten Themenspektrum einsetzen: Bildung in der Muttersprache, Stadtplanung, Architektur, gleichberechtigte Nutzung von Dienstleistungen, Kommunikation und Verlagswesen, Kultur und Kunst, Verkehr, Gesundheit, Wirtschaft, Ethik und Ästhetik, Sozialpolitik, autonome und unabhängige Selbstorganisation, freies Zusammenleben, Mitbestimmung und paritätische Vertretung. Als Grundprinzip gilt dabei die autonome Organisierung von Frauen: „Zur Sicherung der Rechte und Freiheiten der Frauen organisieren sich Frauen in allen Bereichen unabhängig und selbständig und berücksichtigen dabei die Gleichstellung der Geschlechter sowie das Gleichgewicht und die Vielfalt der Natur.“

Kriterien lokaler Selbstverwaltung

Zu den Zielen der Frauenverbände in der lokalen Selbstverwaltung gehören unter anderem folgende Punkte:

  • Alle Angebote und Projekte im Zusammenhang mit Frauen und Kindern werden gemeinsam mit den Gemeinden und Räten umgesetzt.

  • In Fragen der Frauenpolitik werden wir uns mit örtlichen Institutionen für Frauen, Jugend, Gesundheit und Bildung abstimmen.

  • In der Lokalverwaltung organisieren sich Frauen autonom und eigenständig, es werden Frauenräte, Koordinationsgremien und Sprecherinnen gewählt.

  • Damit Projekte für Frauen und Kinder geschaffen werden, fördern wir Fraueneinrichtungen. In diesem Kontext wird in jeder Lokalverwaltung ein Frauenbüro eröffnet. In Verbindung damit werden Bündnisse zum Kampf gegen Gewalt an Frauen aufgebaut und Schulungen angeboten.

  • Um die Solidarität unter Frauen in den Lokalverwaltungen zu stärken und eine gemeinsame Politik zu entwickeln, wird ein eigener Verband gegründet, der in den Bereichen Bildung, Medien und Internationales arbeitet.

  • Die Bedürfnisse von Frauen, die die Hälfte der Gesellschaft ausmachen, werden in der Budgetplanung berücksichtigt. Für autonome Projekte wird ein eigenständiges Budget festgelegt.

  • Im Rahmen des Kampfes gegen jegliche Gewalt an Frauen werden wir Teams zur Beratung von Frauen und für den Schutz von Frauen und Kindern aufbauen.

  • Gesundheit ist ein natürliches Recht der Gesellschaft. Damit auch Frauen davon profitieren muss Gesundheitsversorgung kostenfrei sein. Wir werden mit Einrichtungen der Gesundheitsversorgung zusammenarbeiten und Bildungsangebote im Bereich der körperlichen Gesundheit von Frauen entwickeln.

  • Für Frauen, die Gewalt erfahren haben und Hilfe benötigen, obdachlose und geflüchtete Frauen und Frauen mit Behinderungen werden Orte geschaffen, an denen sie mit ihren Kindern leben können.

  • Damit Frauen stärker in die Wirtschaft einbezogen werden, werden wir eine kollektive Produktion entwickeln. Auf dieser Grundlage werden wir vor allem die Land- und Viehwirtschaft sowie Handels- und Produktionskooperativen von Frauen fördern.

  • Um die klassischen Geschlechterrollen im Arbeitsleben zu überwinden, werden wir Berufsausbildungen ermöglichen, damit Frauen in vielfältigen Bereichen arbeiten und sich selbst versorgen können.

  • Wir werden die Organisierung junger Frauen stärken und sie in Entscheidungsmechanismen einbeziehen.

  • Damit Vielfalt und Diversität entsteht, werden wir darauf achten, dass das Recht von Frauen auf Leben, Gesundheit, Bildung, Wohnen, Transport und Sicherheit sowie ihre eigenen Pläne berücksichtigt werden. Von Gebäuden bis zu Grünflächen, von Parks bis zu Plätzen: Wir haben das Rechte auf Mitsprache und Entscheidung bei der Gestaltung des Ortes, an dem wir leben.

  • Wir werden Kulturräume, Sportanlagen, Parks und Märkte als freie Frauenbereiche schaffen.

  • Wir werden die Situation von Kindern, Menschen mit Behinderungen und älteren Menschen in der Stadtentwicklung aus der Perspektiven von Frauen im öffentlichen Raum, im Transportwesen und beim Bau von Gebäuden berücksichtigen.

  • Wir werden die Lebensräume, die besetzt, niedergebrannt und zerstört wurden, auf Basis der Wünsche der lokalen Bevölkerung gemeinschaftlich wieder aufbauen. Wir werden gemeinsam gegen eine Kriegs- und Konfliktpolitik kämpfen, die Menschen zur Migration zwingt und einen demografischen Wandel verursacht.

  • Wir werden den Schutz des Ökosystems fördern und nicht nur für Menschen, sondern für alle Arten von Pflanzen, das Wasser, den Boden, die Luft, ebenso wie für historische Stätten und kulturelles Erbe Verantwortung übernehmen. An den Orten, an denen wir leben, werden wir Grünflächen fördern.

Die vollständige Erklärung ist unter anderem auf Englisch auf der Website von Kongra Star veröffentlicht worden.