Ein Armenier im Widerstand von Ain Issa

Viele Enkel und Urenkel der Überlebenden des Genozids von 1915, die aus dem Osmanischen Reich in die syrische Wüste deportiert wurden, kämpfen heute für die Verteidigung der armenischen Existenz in den Reihen der QSD. So auch der Armenier Simko Harun.

Der Armenier Simko Harun ist ein Urenkel von Überlebenden des Genozids von 1915 und Kämpfer der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) in Ain Issa. Als vor mehr als einem Jahrhundert im damaligen Osmanischen Reich unter Verantwortung der jungtürkischen Regierung mehr als 1,5 Millionen christliche Armenier, Pontos-Griechen und andere Christen bei Massakern und auf Todesmärschen in die syrische Wüste ermordet wurden, verschlug es Haruns Vorfahren nach Qamişlo. Aber die Arabisierungspolitik des Baath-Regimes, das sich in den 60er Jahren in Syrien an die Macht putschte, hat ihre Spuren hinterlassen. Auch wenn Syrien eine reiche Tradition an Medien und Veröffentlichungen in armenischer Sprache hat, armenische Tageszeitungen, die inzwischen nicht mehr bestehen, zu Beginn des 20. Jahrhunderts für die kleine armenische Bevölkerung sehr große Auflagen hatten, existiert heute eine „verlorene Generation“, der die Muttersprache abhandengekommen ist. Zwar blicken Armenier*innen auf eine lange Geschichte in Syrien zurück, waren unter Hafiz al-Assad weitestgehend gleichberechtigt und genossen schon immer einen „Ruf der Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit“, was wohl auch an ihrer starken wirtschaftlichen Stellung lag. Der Erhalt und die Weitergabe ihrer kulturellen Errungenschaften und Traditionen gestaltete sich in den Jahren vor der Revolution von Rojava allerdings als schwierig. Zuletzt wurde unter Diktator Baschar al-Assad zuerst der armenische Unterricht zurückgeschraubt und später gänzlich aus den Plänen privater Schulen verbannt. Danach wurde sogar vielerorts verboten, den Jahrestag des Völkermords zu begehen. Das war zu Zeiten, als al-Assad sich um bessere Beziehungen mit der Türkei bemühte.

Zu der verlorenen Generation der Armenier Syriens zählt auch Simko Harun. Zwar spricht er fließend Kurdisch, Arabisch, Türkisch und sogar Deutsch, aber nicht Armenisch. Harun glaubt, dass sich seine Eltern aus Furcht des Regimes ihrer Sprache entledigten. Vor diesem Hintergrund habe er schließlich eine Suche zu seinen Wurzeln begonnen. 2013 – Simko Harun hatte inzwischen die Schriften des kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalan gelesen – schloss er sich den Volksverteidigungseinheiten YPG an. Mit dem erklärten Ziel, Rechenschaft für den Völkermord an den Armeniern zu fordern und gegen einen neuen Genozid zu kämpfen. „Ich möchte so lange kämpfen, bis die Türkei ihre Schuld eingesteht“, sagt er.

Gemeinsamer Kampf gegen Assimilierung

„Der syrische Staat unterscheidet sich nicht vom Osmanischen Reich, das ein Vielvölkerstaat war. Tausende Armenier leben hier in Syrien, und das nicht erst seit dem Genozid. Doch aufgrund der Arabisierungspolitik sprechen die meisten von ihnen nicht ihre Muttersprache. Die Absicht dahinter ist die vollständige Auslöschung der armenischen Existenz. Aus Furcht vor dem Baath-Regime wurde in meiner Familie kein Armenisch gesprochen. Viele weitere Armenier verloren aufgrund der Beschränkungen, mit denen Armenisch belegt wurde, um seine Sprecher an die Nationalsprache zu assimilieren, ihre Muttersprache. Mein persönlicher Kampf dagegen sieht so aus, dass ich täglich vier armenische Wörter erlerne. Es geht mir darum, der Assimilation entgegenzuwirken. Zudem recherchiere ich viel zum Thema armenische Geschichte.“

Widerstand ist Pflicht für Nachfahren von Genozid-Überlebenden

Harun Simko kämpft an der Front von Ain Issa, einer Kleinstadt im Kanton Girê Spî (Tall Abyad), gegen die türkisch-dschihadistische Invasion in Nord- und Nordostsyrien. Ihn und seine Weggefährten trennen lediglich zwei Kilometer von den Stellungen der türkischen Armee und ihren islamistischen Verbündeten.

„Gerade im Kontext der Massaker an den Armeniern ist es für uns Nachfahren von Genozid-Überlebenden von existenzieller Bedeutung, an diesem Krieg gegen die Türkei teilzunehmen. Ganz vorne an der Spitze der Front von Ain Issa zu kämpfen, ist für mich eine Pflicht“, erklärt Harun. Der Kämpfer bemerkt, dass viele der dschihadistischen Proxys des Nato-Partners Türkei und seiner sogenannten SNA („Syrische Nationalarmee“) aus ehemaligen Mitgliedern des „Islamischen Staats“ (IS) rekrutiert wurden und bereits zwischen 2014 und 2015 Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit an Eziden, Suryoye, Armeniern und Kurden begingen. Die genaue Zahl der Armenier, die in Syrien von der Terrororganisation IS getötet wurden, ist noch immer unklar.

„Die Türkei sieht sich in der historischen Tradition des Osmanischen Reiches und will eine Neuauflage des Kalifats. Es geht um die Vollendung aller ‚halben Genozide‘ und die Auslöschung von Allem, was nicht in die strategisch angelegte neo-osmanische Imperialpolitik passt. Um diese Ziele umzusetzen, setzt der türkische Staat Dschihadisten ein, die sich bereits Massakern an unseren Völkern schuldig machten. Und gegen genau diese Dschihadisten kämpfen wir hier. Denn nur wir können unsere Heimat gegen diese Banden verteidigen. Die Geschichte der Massaker und Genozide, unsere Vergangenheit, wird sich nicht wiederholen. Wir, die hier Widerstand für unsere Völker leisten, werden die Geschichte der Zukunft schreiben.“