„Die Befreiung von IS-Mitgliedern wurde vom MIT geplant“

Mit der Erstürmung des Sina-Gefängnisses in Hesekê vor einem Jahr wollte der IS sein Kalifat in Syrien wiederherstellen. Die Ermittlungen weisen auf eine direkte Beteiligung der Türkei hin und die Gefahr ist nach wie vor groß.

Newroz Ehmed, Mitglied der Generalkommandantur der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), hat sich im ANF-Interview zu der versuchten Befreiung von Islamisten aus dem Sina-Gefängnis in Hesekê am 20. Januar 2022 geäußert. Bei der Untersuchung der Vorgänge sind viele neue Details bekannt geworden, die jedoch immer noch nicht abschließend geklärt werden konnten.

Vor einem Jahr fand die versuchte Erstürmung des Sina-Gefängnisses statt. Was können Sie zu den Untersuchungsergebnissen sagen?

Seit dem Anschlag ist ein Jahr vergangen. Es gab viele Verhaftungen und es haben vielschichtige Ermittlungen stattgefunden. Zunächst ging es um die Aufklärung der Frage, von wo aus und wie dieser Angriff durchgeführt wurde. Im Vorfeld gab es Hinweise auf einen bevorstehenden Angriff. Viele versuchte Anschläge konnten verhindert werden. Wir konnten jedoch nicht vorhersehen, dass es zu einem Anschlag in dieser Größenordnung kommen würde.

Dieser Angriff wurde auf höchster Ebene organisiert. Nach den zuvor vereitelten Anschlägen wurde dieser Angriff von der obersten Führungsebene durch kleine Gruppen organisiert. Er wurde von der Führungsspitze des IS in den türkisch besetzten Gebieten organisiert. Der türkische Geheimdienst MIT hat die Pläne ausgearbeitet, wie die Dschihadisten und ihre Ausrüstung in die Region transportiert werden. Der Angriff war in jeder Hinsicht bis ins kleinste Detail berechnet. Es war nicht nur ein Angriff des IS und seiner Führung. Er wurde von der Türkei selbst organisiert.

Der Angriff hatte auch eine irakische Komponente

Der Angriff hatte auch ein irakisches Standbein. Der Plan sah letztendlich auch die Befreiung der IS-Angehörigen aus Camp Hol vor. Sowohl die Häftlinge als auch ihre Familien sollten herausgeholt werden. Hierfür wurde ein umfassender Angriffsplan ausgearbeitet. Um mit den Gefangenen zu kommunizieren, wurden technische Geräte wie Telefone eingeschmuggelt. Es wurde genau festgelegt, was die Bandenmitglieder im Gefängnis während des Angriffs von außen tun würden. Dafür wurden IS-Zellen in den Stadtvierteln in der Nähe des Gefängnisses installiert. Daraus geht hervor, dass der Anschlag über einen langen Zeitraum vorbereitet wurde.

Die von uns festgenommenen Personen haben gestanden, dass der Anschlag von außen geplant wurde. Sowohl Außenstehende als auch Insider, die an dem Angriffsplan beteiligt waren, haben sich dazu bekannt. Die Planung war auf eine kleine Anzahl beschränkt. Nicht einmal alle Gefangenen wussten davon. Es handelte sich um einen Angriffsplan, von dem nur sehr wenige Menschen innerhalb und außerhalb des Landes wussten. Den ankommenden Gruppen wurden der Angriffsplan und die Ziele erst im letzten Moment mitgeteilt. Es wurde ihnen erklärt, wie jedes Ziel vorbereitet wurde. Auf diese Weise wurden sie in unsere Region geschickt. Sie wurden von außen organisiert.

Wie sind die Waffen und technischen Hilfsmittel ins Gefängnis gekommen? Und was wurde gegen die Sicherheitslücke unternommen, die bei den Ermittlungen nach dem Anschlag aufgedeckt wurde?

Die Sicherheit des Gefängnisses obliegt unseren Kräften, aber das Gebäude war nicht sicher und geeignet. Im Vorfeld wurden zahlreiche Maßnahmen ergriffen. Es wurden Maßnahmen gegen Infiltrationsversuche ergriffen, indem Tunnel um das Gefängnis herum gegraben wurden. Es wurden viele Operationen durchgeführt, weil man wusste, dass sich dort viele Dinge befanden.

Unsere Kräfte bemühten sich, die Maßnahmen zu verstärken. Wir wollten das Gefängnis, das das gefährlichste Haftzentrum für IS-Mitglieder ist, sicherer machen, aber wir hatten nicht die Mittel dazu. Unsere technischen Möglichkeiten sind sehr schwach. Technisch gesehen verfügen unsere Kräfte der inneren Sicherheit über große Erfahrung, aber unsere Möglichkeiten sind begrenzt, wenn es darum geht, zu kontrollieren, was in das Gefängnis hineingeschmuggelt wurde, vorhandene Telefone aufzuspüren und sie zurückzuverfolgen.

Bei den nach dem Anschlag eingeleiteten Ermittlungen wurden eingeschmuggelte Telefone, Karten und zum Teil auch Waffenausrüstung gefunden. Wie sie eingeschleust wurden, wurde natürlich in der Untersuchung aufgedeckt. Es wurden die erforderlichen Maßnahmen ergriffen und Rechenschaft gefordert. Aber unsere Möglichkeiten sind in dieser Hinsicht begrenzt. Das Wachpersonal, das direkten Kontakt mit den Gefangenen hatte, war dafür ausgebildet, aber eben nur sehr begrenzt. Wir haben in dieser Hinsicht nicht viel Erfahrung. Seit der Zerschlagung der Territorialherrschaft des IS im Frühjahr 2019 haben wir plötzlich eine riesige Anzahl an Gefangenen. Wir mussten in kurzer Zeit die notwendigen Maßnahmen ergreifen und haben dabei große Mängel festgestellt.

Hat die internationale Koalition gegen den IS in dieser Hinsicht nicht geholfen?

Die erforderlichen Maßnahmen wurden entsprechend der von den in der Region präsenten Nachrichtendiensten weitergegebenen Informationen getroffen. Das war jedoch nicht genug. Wie bereits erwähnt, haben unsere begrenzten Mittel zu diesem Angriff und seinen Folgen geführt. Wir wissen vieles und wollen viel unternehmen, aber wir können es nicht, weil uns die Mittel nicht zur Verfügung stehen. Wir haben dies mehrfach zum Ausdruck gebracht und um Hilfe gebeten. Die Last der IS-Gefangenen kann nicht allein den QSD und der Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien überlassen werden. Es ist eine Last, die eine große Verantwortung mit sich bringt.

Dieser Angriff war ein sehr gefährlicher Plan. Wäre er wie geplant umgesetzt worden, hätte sowohl für das Gefängnis als auch für das Lager erneut ein „Kalifat" ausgerufen werden können. Es war sehr gefährlich für die gesamte Region und auch für die ganze Welt. Auch hier gab es einen internationalen Aspekt. Alle sagten: Der IS ist vorbei, die QSD haben die Kontrolle und schützen uns. Damit haben sie sich zurückgezogen. Die notwendige Unterstützung und Hilfe war sehr begrenzt und es gab keinen ernsthaften Ansatz für die Bewältigung der Lage. Das haben wir schon oft zum Ausdruck gebracht. Seit dem Anschlag vom vergangenen Jahr gehen wir jedoch davon aus, dass die Angelegenheit mit größerer Ernsthaftigkeit behandelt wird.

Sie sagten, dass das Gefängnisgebäude nicht geeignet war. In was für einem Gebäude sind die Gefangenen jetzt untergebracht? Wurden alle notwendigen Maßnahmen gegen einen neuen Angriff getroffen?

Die verhafteten IS-Mitglieder wurden in ein neu gebaute Gefängnis verlegt. Aber auch hier gibt es nur wenige einschlägige Maßnahmen. Ein solides Gefängnisgebäude ist auch nicht genug. Es gibt viele Beispiele dafür, wie Häftlinge selbst aus Hochsicherheitsgefängnissen in anderen Ländern entkommen. Ein solides Gebäude allein reicht nicht aus, es müssen viele notwendige Maßnahmen getroffen werden. Das Gefährlichste ist, die IS-Mitglieder sich selbst zu überlassen. Wir haben es bereits erwähnt: Die IS-Gefangenen hoffen auf ihre Befreiung und die Wiedererrichtung ihres „Kalifats". Sie müssen vor Gericht gestellt werden, und dafür müssen alle Verantwortung übernehmen. Lassen Sie uns gemeinsam die notwendigen Maßnahmen ergreifen. Wir brauchen ein starkes Engagement in dieser Frage.

Es reicht also nicht aus, nur die Gefängnisse sicherer zu machen. Was ist für eine grundsätzliche Lösung erforderlich?

Seit diesem Anschlag ist ein Jahr vergangen, aber die Mittel und die Unterstützung sind immer noch mangelhaft. Selbst die Versorgung mit Lebensmitteln, Getränken und notwendigen Medikamenten ist ein großes Problem. Alles der Autonomieverwaltung und den QSD zu überlassen, ist weder rechtlich noch anderweitig richtig. Es gibt Häftlinge aus mehr als 50 Ländern. Einige von ihnen sollen zwar übernommen werden, aber das ist eine sehr begrenzte Zahl. Einige Länder haben sich eingeschaltet, andere Länder erwähnen es nicht einmal. Es ist, als gäbe es sie nicht. Auch nach diesem Angriff haben sie nicht die nötige Einstellung gezeigt. Einige Länder erklärten, sie würden die internierten Islamisten ausbürgern. Darüber hinaus wurde kein weiterer Schritt unternommen.

Einige Maßnahmen wurden mit unseren eigenen Mitteln und mit teilweiser Unterstützung der Koalition durchgeführt. Wir haben jedoch einige Schwachstellen, wie die Untersuchungen gezeigt haben. Vor allem im Bereich des Nachrichtendienstes und der Sicherheitskräfte in den Gefängnissen fehlt es noch an Unterstützung. Es gibt nicht nur ein Gefängnis, sondern auch viele andere Gefängnisse in der Region. In der Region gibt es Gefängnisse, in denen noch gefährlichere IS-Mitglieder untergebracht sind. Es gibt Informationen über Gefahren hinsichtlich dieser Gefängnisse.

Der IS organisiert sich innerhalb der Gefängnisse

Diese Orte erfordern sehr umfangreiche und langfristige Pläne. Es gibt einige Maßnahmen, die wir im Rahmen unserer Möglichkeiten ergriffen haben. Denn jetzt gibt es Informationen über einen erneuten Angriff auf die Region, einschließlich der Gefängnisse. Es ist bekannt, dass die Anführer des IS, die den Krieg hier jahrelang geführt haben und über Erfahrung verfügen, im Gefängnis neue Pläne schmieden. Bei den in den Gefängnissen durchgeführten Operationen wurden einige Materialien beschlagnahmt, die auf die Reorganisierung hinweisen. Die internierten IS-Mitglieder werden vorbereitet. Das sagen sie selbst. Sie sagen, dass sie auf den Tag warten, an dem sie freikommen.

Denn es wurde nichts gegen sie unternommen. Es gibt keine Strafe. Es gibt niemanden, der sich um sie kümmert. Das ist gefährlich. Jetzt gibt es Pläne, sie zu erreichen. Die wichtigsten Führungskräfte und Mitarbeiter sitzen in diesen Gefängnissen. Dafür gibt es Versuche und Bemühungen, die fortgesetzt werden. Der jüngste Angriff in Raqqa ist ein Teil davon. Es gibt entsprechende Informationen in vielen Gebieten. Deshalb brauchen wir eine stärkere Mobilisierung in dieser Hinsicht. Wir brauchen mehr Unterstützung und Hilfe. Alle müssen aktiv ihrer Verantwortung gerecht werden.

Können Sie etwas zu den laufenden Ermittlungen sagen?

Wir haben eine Untersuchung im Rahmen unserer Möglichkeiten durchgeführt. Es gibt noch einige Aspekte, die geklärt werden müssen. Denn es gab Telefonnummern aus der Türkei und vielen anderen Ländern. Es wäre notwendig gewesen, herauszufinden, zu wem sie gehörten. Unsere Möglichkeiten, diese zu identifizieren, sind begrenzt. Das haben wir anderen Kräften mitgeteilt. Es gibt jedoch kein gewünschtes Ergebnis. Auch wären DNA-Tests erforderlich, um herauszufinden, wer die getöteten Personen waren. Unsere Möglichkeiten sind in dieser Hinsicht begrenzt. Daher können wir zu einigen Fragen noch keine klaren Aussagen machen. Das heißt aber nicht, dass wir nicht daran arbeiten. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen.

Die gefassten IS-Mitglieder werden verhört und die sichergestellten Materialien untersucht. Unsere Arbeit ist noch nicht abgeschlossen. Wir versuchen, das Wenige, das noch übrig ist, aufzudecken. Wir sind zu groben Schlussfolgerungen gekommen, aber es gibt noch einige unklare Details, an denen wir arbeiten.