„Die Ankunft von Abdullah Öcalan in Kobanê löste einen Wandel aus“

Mit der Ankunft von Abdullah Öcalan 1979 in Kobanê setzte dort ein gesellschaftlicher Wandel ein. Der Zeitzeuge Omer Elûş beschreibt die wichtige Phase, in der die ersten Samen der Revolution von Rojava gelegt wurden.

„Weltweit wird heute das apoistische Paradigma diskutiert“

Am 2. Juli 1979 kam Abdullah Öcalan, Gründer der PKK und Vordenker der kurdischen Freiheitsbewegung, nach Kobanê. Er hatte die Türkei verlassen, da er bereits vorausgesehen hatte, dass es einen Militärputsch geben würde und der Widerstand im Ausland organisiert werden müsste. Öcalan selbst beschrieb die Situation mit den Worten: „Als die Türkei auf den Putsch vom 12. September zusteuerte, gab es nur noch die Wahl, entweder ins Ausland zu gehen oder die eigene Ehre mit ein paar Monaten oder Jahren Widerstand in den Bergen zu retten.“


Abdullah Öcalan kam zusammen mit Mehmet Sait (Ethem Akcan) nach Kobanê und blieb fast zwei Monate dort. Sein Aufenthalt hatte großen Einfluss auf die Familien, bei denen er wohnte. Omer Elûş, Jahrgang 1971, war Mitglied einer dieser Familien. Er erinnerte sich: „Die Gruppen, die nach Rojava geschickt wurden, wurden von meinem Cousin Enver Elûş empfangen. Unter den ersten, die ankamen, war mein Großcousin Mehmet Sait, also Ethem Akcan. Enver hatte an der medizinischen Fakultät in Istanbul studiert. Im Jahr 1975 war er nach Istanbul gegangen. Im Jahr 1976 starb sein Vater und er musste zurückkehren. Ethem Akcan fuhr ständig von Kobanê nach Pirsûs (tr. Suruç) und zurück. Er brachte 1978 die erste Gruppe aus Nordkurdistan zu uns und 1979 dann die Gruppe mit Rêber Apo [Abdullah Öcalan]. Nach der ersten Gruppe sagte er: ‚Cousin, ich werde eine weitere wertvolle Persönlichkeit herbringen.‘

Da Enver in Istanbul studiert hatte, war er mit den Verhältnissen in der Türkei vertraut und konnte voraussehen, was passieren würde: ‚Ihr habt eine Gruppe hergebracht, bringt auch die zweite‘, sagte er. Alle Familienmitglieder wussten, dass die Gruppen zu uns nach Hause kommen würden. Ethem brachte Rêber Apo mit. Wir hatten keine Informationen darüber, wer er war, was er war und warum er gekommen war. Wir wussten nicht einmal, dass es der Vorsitzende war. Sein Name wurde als Ali Fırat angegeben. Nur Ethems Versprechen, dass er eine besonders wertvolle Person mitbringen würde, blieb in unserem Unterbewusstsein.

Enver warnte die Familie ständig und sagte: ‚Niemand darf etwas über Ali Fırat erfahren.‘ Wenn sich Familienmitglieder in unserem Haus versammelten, war Enver sehr aufmerksam und warnte sie, den Vorsitzenden nicht durch den Lärm zu stören. Nach einer Weile, als die gesundheitlichen Probleme meines Großonkels zunahmen, musste der Vorsitzende das Haus verlassen, da mein Großonkel sterben könnte und in dem Fall würde der Besuch in unserem Haus zunehmen. Das hätte ein Problem für die Sicherheit des Vorsitzenden werden können. Aus diesem Grund brachten sie ihn in das Haus von Hemîde, Envers Schwester. Hemîdes Ehemann Omar war ein Dorfvorsteher. Ethem und Enver waren für die Organisierungsarbeit verantwortlich. So blieb der Vorsitzende etwa 38 bis 40 Tage in Kobanê. Anschließend wechselte er in das Haus von Envers Schwester in Şêxmeqsûd in Aleppo.“

Omer Elûş beschrieb, wie er Abdullah Öcalan kennenlernte: „Damals war ich noch klein. Niemand wusste, dass es sich um den Vorsitzenden handelte; sie nannten ihn Ali Fırat. Die Geheimhaltung war wichtig. Schon in diesem jungen Alter wurde mir klar, dass es sich um einen besonderen Menschen handelte. In der Familie sagte man uns: ‚Er ist ein ganz besonderer Mensch.‘ Das war alles. Ich fragte meinen Großvater immer: ‚Wer sind diese Leute?‘ Und mein Großvater antwortete: ‚Sie sind gekommen, um sich für die Unterdrückten zu rächen, für die ungeborenen Kinder, die schon im Mutterleib ermordet werden.` Ihr Verhalten und ihre Handlungen waren eindeutig. Erst später in Damaskus wurde mir klar, dass es sich um den Vorsitzenden gehandelt hatte.

Der Vorsitzende vertraute und schätzte unsere Familie. Als er nach Aleppo kam, versammelte er die Familie und unterhielt sich mit ihr. Natürlich verstand ich nicht, was er sagte, aber ich wollte ihm nahe sein. Deshalb saß ich in der ersten Reihe und beobachtete ihn. Wenn er hereinkam, begrüßte er uns. Wenn er uns verließ, umarmte er uns. Es war deutlich zu spüren, wie sich die Menschen veränderten, wenn sie seine Perspektiven verstanden. Er machte sich viele Gedanken über die Zukunft und war ein Meister der Disziplin. Er war vorausschauend, kalkulierte sorgfältig, was ihm begegnen könnte, und handelte entsprechend. Nie würde er ohne Plan handeln. Es war klar, was er zu welchem Zeitpunkt tun würde. Seine Ankunft in Kobanê leitete einen gesellschaftlichen Wandel ein.“

Weltweit wird heute das apoistische Paradigma diskutiert“

Elûş kritisierte das Europäische Komitee zur Verhinderung von Folter (CPT) für seine Toleranz gegenüber der Isolation von Abdullah Öcalan und seiner drei Mitgefangenen auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali und sagte: „Das CPT handelt nicht im Einklang mit seinen Pflichten und Verantwortlichkeiten, sondern im Einklang mit dem türkischen Staat. Der türkische Staat tut alles, um das apoistische Paradigma zu zerstören. Er ist bereit, jeden Zentimeter seines Landes zu verkaufen und sein Volk zu verraten. Aber auch mit der Totalisolation von Rêber Apo wird er seine Ziele nicht erreichen können. Heute treten die Massen auf den Straßen für Rêber Apo ein. Die Welt liest und diskutiert sein Paradigma.“