Das System der Nationalstaaten ist in der Krise. Nicht nur, aber besonders im Mittleren Osten. Dort gehört die ungelöste Krise zu den komplexesten und blutigsten Konfliktfeldern. Der kurdische Vordenker Abdullah Öcalan schlägt als Ausweg die Anwendung des demokratischen Konföderalismus vor. Mit diesem Modell erschaffte der seit 21 Jahren auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali inhaftierte PKK-Gründer – inspiriert vom libertären US-amerikanischen Theoretiker Murray Bookchin – eine Utopie eines nicht-nationalstaatlichen, multiethnischen Organisationsmodells für eine demokratische, ökologische und geschlechterbefreite Gesellschaft. Dieses in Rojava bereits umgesetzte Konzept, den Staat auf lokale Einrichtungen in Dörfern, Städten und Nachbarschaften zu reduzieren und dabei alle Entscheidungsgremien auf diese Institutionen zu übertragen, ist die basisdemokratische Alternative, um jenseits vom Staat zu leben, die auch die Gleichberechtigung zwischen den Ethnien und Religionen garantiert.
Dass diese Alternative zum kapitalistischen System eine Lösungsperspektive für die Probleme Syriens birgt, glaubt auch Sennacherib Barsoum, Ko-Vorsitzender der Assyrischen Einheitspartei (Gabo d'Ḥuyodo Suryoyo), die in Syrien die Interessen der christlichen Volksgruppen der Suryoye vertritt. In einem Interview mit ANHA sagte der Politiker, dass es eine nachhaltige Lösung des Syrienkonflikts nur im Rahmen einer politischen Lösung, die sich an den Ideen Öcalans orientiert, geben könnte.
Die Krise in Syrien begann 2011 mit friedlichen Demonstrationen, dann flammte ein Bürgerkrieg auf. Heute ist der Syrien-Krieg ein komplexer Stellvertreterkrieg, der Auswirkungen auf die gesamte Region und die Welt hat. „Diese verschiedenen Akteure haben von Beginn an die Absicht, Konflikte zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Syrien zu schüren. Nur aus der Einheit der Völker Syriens kann sich dagegen ein wirksamer und nachhaltiger Widerstand entwickeln“, sagt Barsoum.
„Seit Jahren sind die Herrschenden des Mittleren Ostens mit Menschen, die sich nach Freiheit sehnen, im Krieg. Das war bereits vor Jahrtausenden so. Die Grundlage für das System dieser herrschenden Mächte bildet nach wie vor der Keil, den sie zwischen die verschiedenen Völker getrieben haben. Demgegenüber lautet unser Vorschlag, eine Einheit zwischen den Völkern zu bilden. Dies ist unserer Meinung nach sowohl der Schlüssel zur Lösung der Syrien-Krise, als auch ein regionsübergreifender Ausweg aus allen anderen Problemen des Mittleren Ostens“, so Barsoum. Der Politiker fügt hinzu, dass eine neue syrische Verfassung schnellstmöglich erstellt werden muss, die die Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger des Landes garantiert. „Alles andere, was unter dem Namen ‚Lösung‘ eingebracht wird, bedeutet nur den Zerfall Syriens.“