Überlebender von Kuna Masî: Kurden müssen sich vereinen

Keywan Kawa hat den türkischen Angriff auf Kuna Masî überlebt. Ihm gehörte das Geschäft, das von Kampfbombern getroffen wurde. In einem Interview gibt er einen Überblick über die Details des Luftangriffs – und ruft die Kurden zur Einheit auf.

„Meine einzige Bitte an die kurdischen politischen Parteien, ihre Führer und alle Politiker lautet: vereint euch.” Das sind Worte von Keywan Kawa, einem Überlebenden des türkischen Luftangriffs von letzter Woche auf die südkurdische Ortschaft Kuna Masî. Dem zweifachen Familienvater gehörte das Geschäft, das unter anderem von einem türkischen Kampfflugzeug getroffen wurde. In einem Interview mit dem Journalisten Bestoon Khalid schilderte der 29-Jährige, was an dem Tag geschah. Seine Äußerungen geben einen Überblick über die bislang wenig bekannten Details des Luftangriffs.

Verschiedenen Agenturenberichten zufolge starben bei dem Luftangriff am 25. Juni auf das beliebte Freizeitgebiet Kuna Masî rund 30 Kilometer nördlich der Metropole Silêmanî (Sulaimaniyya) zwei Menschen, neun weitere Personen wurden verletzt. Bei einem der Toten handelt es sich um den in Bokan geborenen Rebwar Gholizadeh (Nom de Guerre: Arîwan Şoreşger) von der ostkurdischen „Partei für ein freies Leben in Kurdistan“ (Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê – PJAK). Er hielt sich in dem kleinen Geschäft von Keywan Kawa auf, das gezielt bombardiert wurde. Drei weitere PJAK-Mitglieder saßen in ihrem am Straßenrand parkenden Geländewagen, der gleichermaßen angegriffen wurde. Sie wurden teils schwer verletzt.

‚Das Ziel war mein Kunde‘

„Er nahm sich einen Karton Eier und legte sie auf den Tresen. ‚Pack sie gut ein, ich bin auf Reisen‘, sagte er. Ich entgegnete: ‚Selbstverständlich‘. Meine Kunden frage ich grundsätzlich nicht, wer sie sind oder woher sie kommen. Jedenfalls war ich gerade dabei, die Eier einzupacken – es waren vielleicht zwei oder drei Minuten vergangen, da schlug plötzlich eine Kanone der türkischen Kampfjets direkt neben meinem Geschäft ein. Mein Laden wurde gezielt getroffen. Alles geschah in einem kurzen Augenblick, im Geschäft kam es zu einer Explosion. Ich wurde weggeschleudert.“

Geschäft von Kaywan Kawa nach dem Luftangriff | Foto: RojNews

Leben der Familie ist zerstört

Im Geschäft von Keywan Kawa hielten sich während des Luftangriffs auch seine Frau Peyman Talib, die siebenjährige Tochter und der fünf Jahre alte Sohn auf. „Ich blickte um mich und sah überall Rauch und Flammen – die Wände, Metallteile, die Kühlschränke – alles brannte. Dennoch danke ich Gott, denn meine Frau und meine Kinder sind am Leben.“ Schrapnelle rissen etwa 20 Wunden in Keywan Kawas Körper. Seiner Frau zerfetzte die Bombe ein Bein, das andere ist an mehreren Stellen gebrochen. Ihr Körper ist übersät mit Metalleinschlüssen, an vielen Stellen erlitt sie Verbrennungen. Insbesondere ihre Hände sind leidtragend. „Sie verdeckte ihr Gesicht, weil sie nicht wollte, dass es verbrennt“, sagt die Tochter Hemişe. Im Kopf des Jungen sitzt ein Splitter so tief im Gehirn, dass Ärzte ihn nicht entfernen können. Auf Röntgenaufnahmen seien Hirnödeme und Blutungen zu sehen, aber ein Eingriff wäre einfach zu riskant. „Ein Hirn ist wie ein Umspannwerk mit vielen Leitungen. Sobald eine in Mitleidenschaft gezogen wird, stockt das Netz. Wir haben ihn in Gottes Hand gelegt“, erklärt Kawa.

Erst vor Kurzem wieder zurück nach Kuna Masî gezogen

Keywan Kawa ist das älteste Kind seiner Eltern. Kurz vor dem Abitur musste er die Schule verlassen, um sich um den Lebensunterhalt zu kümmern. Sein Vater ist seit einem Unfall schwerbehindert. Kawa schlug sich und seine Familie mit verschiedenen Jobs durch, zuletzt arbeitete er lange Zeit als LKW-Fahrer. Seine Frau hat studiert, wegen der schweren Wirtschaftskrise in Südkurdistan konnte sich das Paar das Leben in der Stadt nicht mehr leisten und zog von Silêmanî zurück nach Kuna Masî. Den kleinen Laden hatten sie sich erst vor ein paar Monaten mühsam aufgebaut. 

Keywan Kawa und seine beiden Kinder | Foto: Rebaz Majeed (VOA)

„Wir dürfen nicht länger leichte Beute sein”

Bestoon Khalid will von Keywan Kawa wissen, ob er Mitglied in irgendeiner Partei, Organisation oder bewaffneten Gruppe sei. Schließlich behauptet die türkische Regierung, bei dem Luftangriff ausschließlich „Terroristen getroffen und neutralisiert“ zu haben. Die angegriffenen PJAK-Mitglieder bewegten sich in ihrem Fahrzeug von einem Ausgangspunkt bis zu einem Ziel. „Sie hätten prinzipiell außerhalb eines Gebiets mit Zivilisten getroffen werden können. Warum gerade in Ihrem Geschäft?“, fragt Khalid. Keywan Kawa antwortet: „Ich war noch nie in meinem Leben Mitglied in einer Partei. Auch habe ich noch nie eine Waffe benutzt. Ich hasse Waffen. Jahrelang habe ich als LKW-Fahrer gearbeitet, bin nachts nach Dihok, Zaxo, Hewlêr, Kerkûk und Mosul gefahren. Noch nicht mal zu meinem eigenen Schutz hatte ich eine Waffe. In meinem Wagen lag nur ein kleiner Knüppel.“

Ob er von jemandem etwas erwarte, möchte der Journalist abschließend wissen – in der Annahme, dass Keywan Kawa persönliche Wünsche oder Forderungen äußern würde. Seine Antwort fühlt sich an wie ein Schlag in die Magengrube: „Meine einzige Bitte an die Regionalregierung, die kurdischen politischen Parteien, ihre Führer und alle Politiker lautet: vereint euch. Steht vereint als ein Verstand und als ein Herz. Genug von so viel Spaltungen. Wir dürfen nicht länger leichte Beute sein.”