„Der Mord an Metin Göktepe stellt sich in eine traurige Tradition. Er war nur einer von vielen, die sich in diesem Land mutig und ohne Angst der freien und unabhängigen Presse verschrieben hatten und nur deshalb aus dem Leben gerissen wurden“, sagte Evrensel-Chefredakteur Hakkı Özdal in einer Rede. Doch den Verlust des Kollegen, auf eine bestialische und unmenschliche Weise in Obhut des Staates, habe die nachfolgende Generation freier Medienschaffender quittiert „mit einer noch überzeugteren Haltung zur Meinungs- und Medienfreiheit trotz der Bedrohungen, denen sie seitens Regierungen und Sicherheitskräften ausgesetzt sind, und zu dem, was wirklich wichtig ist“.
Metin Göktepe war alevitischer Kurde aus Sêwas (tr. Sivas) und arbeitete erst seit drei Jahren als Journalist. Er befasste sich mit den totgeschwiegenen Problemen des Landes, etwa dem Widerstand in den Gefängnissen oder dem Überlebenskampf in den Gecekondu-Vierteln Istanbuls, und begleitete die Mahnwachen der Samstagsmütter, die sich auch heute noch Woche für Woche auf dem Galatasaray-Platz zusammenfinden, um auf das Schicksal ihrer von Todesschwadronen ermordeten oder in Haft „verschwundenen“ Angehörigen aufmerksam zu machen.
Bei Dokumentation von Beerdigung festgenommen
Am 8. Januar 1996 begleitete Göktepe die Beisetzung der politischen Gefangenen Orhan Özen und Rıza Baybaş. Beide waren nur vier Tage zuvor zusammen mit zwei weiteren Inhaftierten bei der blutigen Niederschlagung eines Gefangenenaufstandes in der Haftanstalt Ümraniye getötet worden. Die Beerdigungszeremonie der widerständigen Gefangenen entwickelte sich zu einer „illegalen Kundgebung“, wie regierungsnahe Blätter damals schrieben; die Istanbuler Polizei beschloss, die Trauerfeier gewaltsam aufzulösen. 1.052 Menschen wurden festgenommen und auf verschiedene Reviere verteilt, 705 landeten aus Platzmangel in der Sporthalle des Bezirks Eyüp – darunter auch Metin Göktepe. Bereits im Bus sollen ihn die ersten Schläge getroffen haben. Später in der Halle dann wurde er vor den Augen Dutzender Mitgefangener von mehreren Polizisten zu Tode geprügelt. Seine Leiche fand man wenige hundert Meter von der Sporthalle entfernt.
Polizisten nach langem Prozess verurteilt - und dann amnestiert
Die Polizei erkannte die Festnahme von Göktepe zunächst gar nicht an. Erst später erklärte sie, der Journalist sei von einer Mauer gefallen. Dieser Darstellung schloss sich auch die damalige Außenministerin Tansu Çiller an, deren Amtszeit als Ministerpräsidenten eine unverwechselbare Blutspur durchzieht: Tausende zerstörte kurdische Dörfer, eine Politik der verbrannten Erde, Millionen Vertriebene, extralegale Hinrichtungen durch Todesschwadronen, unter deren unzähligen Opfern auch Journalisten waren. Exemplarisch für Çillers Feindschaft gegenüber der freien Presse: Die Bombardierung der Redaktionsbüros der kurdischen Zeitung Özgür Ülke.
Erst als eine Autopsie nachwies, dass Metin Göktepe an Tritten und Schlägen mit Fäusten und Knüppeln gestorben war und Filmmaterial auftauchte, wurden auf öffentlichen Druck Ermittlungen gegen die beteiligten Polizisten eingeleitet. In dem Bericht hieß es: „Die Autopsie ergibt, dass der Tod aufgrund von Gehirnblutungen sowie Blutungen im Gewebe, verursacht durch ein schweres Schädeltrauma, eingetreten ist“. Außerdem weise der Körper der Leiche „viele schwere traumatische Läsionen und einen Rippenbruch“ auf. An Göktepes Beerdigung nahmen über 50.000 Menschen teil.
Fünf von elf Polizisten, die angeklagt worden waren, an der Tötung Metin Göktepes beteiligt gewesen sein, wurden nach einem langwierigen Prozess, den die Justiz „aus Sicherheitsgründen“ ins anatolische Afyon verlegt hatte, zu Haftstrafen verurteilt. Sie waren die ersten Polizisten, die in der Türkei überhaupt wegen der Tötung eines Journalisten rechtskräftig verurteilt wurden. Gleichwohl wurden sie nach einem Jahr und acht Monaten in Haft im Zuge einer Amnestie freigelassen. „So spinnt sich der Faden des Hasses auf die freie Presse bis in die Gegenwart“, sagte Murat Kalmaz, der Ko-Vorsitzende der Istanbuler DEM-Partei.
Es hat sich nicht viel geändert
„Wir befinden uns im Grunde weiterhin in den dunklen Jahren der Neunziger. An der Praxis des Faschismus hat sich nichts geändert. Zwar werden Medienschaffende heute nicht mehr von Todesschwadronen auf der Straße oder in Gewahrsam ermordet. Dafür sitzen sie zu Dutzenden in den Gefängnissen. Die einzige Möglichkeit, dies zu überwinden, besteht darin, die Demokratie zu stärken und sich zusammenzuschließen. Die türkischen Linken und Sozialisten können gemeinsam mit dem kurdischen Volk den Versuch verhindern, dieses Land in den Faschismus und die Finsternis zu führen. Wenn alle Völker, Unterdrückten und Werktätigen zusammenkommen, können wir das Land demokratisieren.“ Kalmaz bedankte sich am Ende seiner Rede bei der Zeitung Evrensel und der Partei EMEP, die den gemeinsamen Grabbesuch bei Metin Göktepe organisiert hatten.
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