Der 22. April gilt als der Tag des kurdischen Journalismus, weil an diesem Tag im Jahr 1898 die erste kurdische Zeitung mit dem Namen „Kurdistan“ erschienen ist. Aus diesem Anlass haben wir in Qamişlo mit Xezne Nebî von Ronahî TV und Hesen Remo von der ebenfalls in Rojava ansässigen Nachrichtenagentur ANHA über ihre Arbeit gesprochen.
Hesen Remo verweist darauf, dass mit der Zeitung „Kurdistan“ vor 122 Jahren die erste Grundlage für den kurdischen Journalismus gesetzt worden ist. Nach der Gründung der PKK sei es zu neuen Entwicklungen gekommen: „Die Zeitung Serxwebûn hat wesentlich zur Entwicklung der kurdischen Medien beigetragen. Sie hat vor allem in Nordkurdistan eine große Wirkung entfaltet. Nach 1990 sind in Nordkurdistan große Schritte gesetzt worden. Kurdische Zeitungen wurden vom MIT angegriffen, Journalisten wie Musa Anter wurden ermordet. Trotz brutaler Repression ist es dem türkischen Staat jedoch nicht gelungen, die Entwicklung der kurdischen Medien aufzuhalten.
In Syrien hat sich die Presse nicht entwickelt, weil sie in der Hand des Baath-Regimes war. Mit der Revolution von Rojava haben auch im Medienwesen wichtige Entwicklungen stattgefunden. Das kurdische Volk hat vorher weder Zeitung gelesen noch Fernsehen geguckt. ANF hat in Rojava die Basis für die kurdischen Medien geschaffen. Die Korrespondent*innen haben journalistisch gearbeitet und gleichzeitig Menschen aus ihrem Umfeld ausgebildet.
Die Gründung von ANHA
Mit der Ausbildung junger Menschen aus Rojava wurde ein weiterer Schritt gesetzt und schließlich ANHA als erste Nachrichtenagentur in Rojava gegründet. ANHA hat sich von Beginn der Revolution an als Stimme der Gesellschaft verstanden und über die vom türkischen Staat unterstützten Angriffe dschihadistischer Organisationen wie IS und al-Nusra berichtet. Die Korrespondentinnen und Korrespondenten haben an der Front an der Seite der YPG/YPJ unter schwierigsten Bedingungen gearbeitet und die ganze Welt wissen lassen, was den Kurden angetan wird. ANHA hat vier Journalist*innen bei Angriffen protürkischer Dschihadisten verloren, viele weitere Mitarbeiter*innen sind verletzt worden. Bei der türkischen Invasion im Oktober 2019 sind Journalist*innen in Serêkaniyê und Girê Spî direkt angegriffen worden. Der türkische Staat bezeichnete die getöteten Journalisten und Zivilisten als Terroristen. Die Journalisten wurden angegriffen, weil sie das türkische Vorgehen öffentlich machten.
Über die Realität in Kurdistan berichten
Es handelte sich nicht um das erste Massaker des türkischen Staates an Journalisten. Wer die Wahrheit berichtet, wird ermordet oder ins Gefängnis gesteckt. In Nordkurdistan sind Dutzende Journalisten im Gefängnis. Mit der jüngsten Reform im Zuge der Corona-Pandemie sind Verbrecher freigelassen worden, aber die kurdischen Journalisten und Politiker werden weiter festgehalten. Der türkische Staat will verhindern, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Ich bin davon überzeugt, dass die kurdischen Medien ihren Kampf immer weiterführen werden. Sie werden immer über die Realität in Kurdistan berichten, davon wird der türkische Staat sie nicht abhalten können. Journalismus ist kein Verbrechen und kurdische Journalisten sind keine Terroristen.“
Kurdischer Journalismus: Wie eine Platane
Xezne Nebî von Ronahî TV definiert den kurdischen Journalismus so: „Mir fällt dazu als erstes eine Platane ein. Manchmal verliert sie ihre Blätter, manchmal brechen Äste ab, manchmal durchfährt sie der Wind. Manchmal leidet sie unter Trockenheit, manchmal steht sie im Wasser. Aber sie bleibt immer standhaft und die abgebrochenen Äste wachsen nach.
Mit der vor 122 Jahren herausgegebenen Zeitung ist eine Basis für die Medienorgane in allen vier Teilen Kurdistans entstanden, die wir heute fortsetzen und zu schützen versuchen. Mit der Revolution von Rojava hat für den kurdischen Journalismus eine neue Zeit begonnen. Die zu Beginn der Revolution gesetzten Schritte sind heute nicht mehr ausreichend und müssen weiterentwickelt werden.
Ronahî TV: Von Europa nach Rojava
Ronahî TV ist erstmalig am 21. November 2011 in Europa auf Sendung gegangen. Die ersten Schritte wurden also im Ausland gesetzt. Täglich wurde drei Stunden in zwei Sprachen gesendet. Der Sender war wie ein Kind, das außerhalb seines Landes auf die Welt gekommen ist. Das hat dazu geführt, dass das Glück und der Schmerz des Lebens in den Informationen, den Nachrichten, dem Programm, dem Ton und den Bildern wenig widergespiegelt wurde. Als noch aus Europa gesendet wurde, wurde auch in Rojava schon gearbeitet. Von Anfang an sind viele Menschen zu Ronahî TV gekommen. Wenige sind gegangen und alle haben Spuren hinterlassen. Seitdem aus Kurdistan gesendet wird, hat Ronahî TV eine eigene Kultur und Identität entwickelt. Die Aufnahmen, die jetzt auf den Bildschirmen erscheinen, sind Live-Berichte. Es wird sehr hart gearbeitet und eine wichtige Arbeit gemacht. Gemessen an der Revolution reicht es nicht aus, aber der Kanal und die Mitarbeitenden haben der Revolution eine Stimme verliehen, soweit das mit der geringen Erfahrung möglich war. Bis heute lebt der Sender von ihrem enthusiastischen Einsatz.
„Solange ich lebe…“
Die Kurden sind immer Angriffen, Assimilation und Isolation ausgesetzt. Der kurdische Journalismus zahlt einen Preis, als ob er sich in einem gedanklichen und bewaffneten Krieg dagegen befindet. Dutzende mutige Menschen sind dafür gefallen. Rizgar Deniz hat gesagt: Ich schütze mich so gut es geht. Aber wenn ein Foto die kurdische Geschichte ändern kann, würde ich ohne Nachzudenken mein Leben dafür geben. Und Dilîşan Îbiş sagte: Solange ich lebe, werde ich Journalistin sein und versuchen, meine revolutionäre Verantwortung zu erfüllen. Das haben sie nicht ohne Grund gesagt.“