Riha: Gedenken an ermordeten Journalisten Kemal Kılıç

In Riha ist dem ermordeten Journalisten Kemal Kılıç gedacht worden. Kılıç war Vertreter der Zeitung „Özgür Gündem“ und wurde 1993 mutmaßlich von der Hizbullah auf offener Straße erschossen. Seine Mörder sind niemals verurteilt worden.

In Riha (tr. Urfa) haben Angehörige, Medienschaffende und Handelnde der Zivilgesellschaft das Grab von Kemal Kılıç besucht. Anlass war der 31. Todestag des kurdischen Journalisten. Kılıç war Vertreter der Zeitung „Özgür Gündem“ in Riha. Am 18. Februar 1993 wurde er im Alter von 30 Jahren auf offener Straße ermordet. Seine Mörder wurden niemals gefunden, da die Auftraggeber mutmaßlich aus den Reihen des „tiefen Staates“ kamen.

Özgür Gündem (Freie Tagesordnung) war den türkischen Autoritäten seit Beginn ihres Erscheinens am 30. Mai 1992 ein Ärgernis. In krassem Widerspruch zur offiziellen Haltung des Staates berichtete das Blatt als einziges Medium in der Türkei schwerpunktmäßig über den schmutzigen Krieg in Kurdistan und veröffentlichte Bilder der Verbrechen an der kurdischen Bevölkerung. Doch für diese Gegenöffentlichkeit zahlte die Belegschaft einen hohen Preis. Allein in den ersten zwei Jahren ihres Erscheinens wurden 27 Mitarbeiter, darunter Korrespondenten und Zeitungsverkäufer der Özgür Gündem ermordet – ihr erster Reporter starb nur eine Woche nach Veröffentlichung der ersten Ausgabe. 49 weitere Morde richteten sich in den 90ern gegen Zeitungsleute von Publikationen in der Tradition von Özgür Gündem. Bis zu seinem ersten Verbot im Jahr 1994 wurde das Blatt unter verschiedenen Namen immer wieder neu belebt.

Beim Grabbesuch war auch der DEM-Abgeordnete Ferit Şenyaşar anwesend

 

Mit zwei Kopfschüssen getötet

Im Fall von Kemal Kılıç wurden die Mörder offenbar innerhalb der Hizbullah rekrutiert – eine radikalislamistische Miliz, die in Kurdistan als Todesschwadron des türkischen Staates agierte. Ein Zeuge, der als Nachtwächter auf einer Baustelle arbeitete, hatte am Abend des 18. Februar 1993 beobachtet, wie Kılıç von einer vierköpfigen Gruppe beim Verlassen eines Busses in sein Dorf am Stadtrand von Riha abgepasst wurde. Die Männer hatten den Bus kurz zuvor in einem weißen Renault überholt und am Straßenrand gewartet. Als Kılıç als letzter Fahrgast ausstieg, sollen sie sich auf ihn gestürzt und versucht haben, ihn in ihren Wagen zu zerren – offenbar mit dem Plan, ihn zu entführen. Laut dem Nachtwächter setzte Kılıç sich lautstark zur Wehr. Die Täter überlegten es sich anders. Zuerst prügelten sie auf ihn ein, dann gaben sie zwei Kopfschüsse ab. Kemal Kılıç verstummte an Ort und Stelle.

Akte wegen Verjährung geschlossen

Weiße Renaults galten in den 90er Jahren in Nordkurdistan als Symbole des Staatsterrors. Sie tauchten immer dann auf, wenn Menschen gewaltsam verschwunden gelassen wurden. Ihre Insassen werden als „unbekannte Täter“ beschrieben, die von der türkischen Justiz nie gefasst wurden. Auch der Mordfall Kemal Kılıç blieb ungesühnt. Zwar wurde eine Ermittlungsakte angelegt, die aber schnell wieder in den staubigen Regalen der Justizarchive verschwand. Selbst als der Hizbullah-Terror der Kontrolle des Staates entglitt und Ende 1993 bei einer Razzia in Amed (tr. Diyarbakır) die Waffe gefunden wurde, mit der man Kılıç ermordet watte – die Pistole wurde bei 15 extralegalen Hinrichtungen verwendet – und der Besitzer wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation angeklagt wurde, ist die Tötung des Journalisten, der zugleich auch im Vorstand des Menschenrechtsvereins IHD saß, nicht verhandelt. 20 Jahre nach seinem gewaltsamen Tod wurde die Akte Kemal Kılıç wegen Eintritt der Verjährung geschlossen.

Nach Öffentlichmachung von Morddrohungen ermordet

Serdar Altan, der Ko-Vorsitzender des in Amed ansässigen Journalistenvereins Dicle Firat (DFG) ist, nannte bei dem Grabbesuch heute den Grund für den Mord an Kemal Kılıç und die juristische Verschleppung des Verbrechens. Der 30-Jährige hatte öffentlich auf Morddrohungen gegen Medienschaffende der Özgür Gündem sowie Übergriffe auf Verkäufer der Zeitung und Brandanschläge gegen Kioske aufmerksam gemacht. Zu diesem Schritt habe er sich gezwungen gesehen, nachdem Forderungen an den Gouverneur der Provinz, den Journalistinnen und Journalisten, aber auch Kioskverkäufern und Zeitungsverteilern Schutz zu bieten, abgelehnt wurden. Das passierte etwa einen Monat vor dem Mord an Kılıç. Im Jahr 2000 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Türkei zu einer Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 39.000 Sterlin an die Hinterbliebenen des Journalisten mit der Begründung, dass der Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf Leben) verletzt worden sei, weil die Behörden sein Leben nicht geschützt hätten.